Trotz Appellen aus dem Irak entschied sich die Türkei für eine Intervention. George Bush warnt die Türkei vor einem Einmarsch.
Trotz internationaler Mahnungen zur Zurückhaltung hat die Türkei die Vorbereitungen für einen Militärschlag im Nordirak fortgesetzt. Das Parlament billigte am Mittwoch mit großer Mehrheit eine Offensive gegen kurdische Rebellen in der Region. "Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren", sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan laut einer Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. US-Präsident George W. Bush warnte das Land kurz darauf in einer eilig einberufenen Pressekonferenz vor einer Truppenentsendung in den Irak.
Erwartungsgemäße Entscheidung des Parlaments
Das
Parlament stimmte erwartungsgemäß mit großer Mehrheit (507 zu 19 Stimmen)
für den Regierungsantrag, eine Militäraktion im kommenden Jahr zu
autorisieren. Die irakische Regierung bemühte sich, dies noch abzuwenden.
Man werde "entschlossen gegen terroristische Aktivitäten"
kurdischer Rebellen vorgehen, erklärte Ministerpräsident Nouri al-Maliki
wenige Stunden vor der Abstimmung. Der irakische Vizepräsident Tarek
al-Hashemi zeigte sich nach Gesprächen in Ankara optimistisch, eine
befriedigende Lösung des Problems zu erreichen.
Irakische Kurden: Türkischer Angriff sinnlos
Die kurdische
Regionalregierung im Nordirak hat einen Angriff des türkischen Militärs auf
Separatisten in ihrem Gebiet als sinnlos kritisiert. Gewalt könne nicht die
Probleme mit der Rebellengruppe PKK lösen, erklärte die Regierung am
Mittwoch. Statt dessen solle die Türkei die Ursachen des Konflikts mit der
Organisation angehen, die für einen kurdischen Staat kämpft. Ein türkischer
Militärschlag würde der Mitteilung zufolge die Stabilität der Region
gefährden. Die Regierung würde aber nicht gegen einen Angriff vorgehen und
nur ihren Protest äußern.
Die PKK dagegen drohte, sie werde die Kurden und deren Interessen bis "zum letzten Tropfen Blut" verteidigen. Ihre Kämpfer seien bereits in Alarmbereitschaft versetzt worden, teilte sie mit.
PKK operiert aus dem Irak aus
Nach Darstellung Ankaras agieren
Kämpfer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vom Irak aus und ziehen
sich nach jedem Gefecht dorthin zurück. Die Türkei forderte den Irak und
auch die dort stationierten US-Streitkräfte wiederholt auf, die Aktionen der
PKK im Grenzgebiet zu stoppen. Seit Beginn ihres bewaffneten Kampfes im
Südosten der Türkei für einen eigenen Staat im Jahr 1984 ist sie nach
Darstellung der Türkei für den Tod von mehr als 30.000 Menschen
verantwortlich.
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Neben Maliki rief auch der irakische Präsident Jalal Talabani zur Zurückhaltung auf. Er hoffe, die Verantwortlichen um Ministerpräsident Erdogan würden eine Intervention verhindern, sagte Talabani in Paris. An die kurdischen Rebellen appellierte er, ihre Kämpfe einzustellen. Die Präsenz der PKK im Nordirak sei "illegal", betonte Talabani nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Talabani äußerte die Erwartung, dass das nördliche Nachbarland nicht einmarschieren werde. "Die türkische Regierung plant keinen Kampfeinsatz im Nordirak", sagte er.
Sorgen in USA
Auch die den Irak militärisch besetzt haltenden
USA sehen die türkischen Pläne mit Sorge. "Wir machen der
Türkei sehr klar, dass es nicht in ihrem Interesse ist, Truppen in den Irak
zu schicken", sagte US-Präsident Bush unmittelbar nach dem
Parlamentsvotum in Washington. Er wies darauf hin, dass die Türkei schon
jetzt Soldaten im Irak stationiert habe. Auch die NATO rief das
Bündnismitglied Türkei auf, von einem Angriff auf das Kurdengebiet
abzusehen. Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer erklärte, auch in Zeiten
großer Spannungen sollten sich alle beteiligten Parteien höchste
Zurückhaltung auferlegen. Auch der französische Außenminister Bernard
Kouchner rief beide Seiten zu einer friedlichen Lösung des Konflikts auf.
Unterstützung aus Syrien
Unterstützung für eine
Militäraktion erhielt Ankara dagegen aus Syrien. "Wir akzeptieren
dies als legitimes Recht der Türkei", sagte Präsident Bashar
al-Assad. In erster Linie sei es aber Aufgabe der US-geführten
Koalitionstruppen im Irak, dafür zu sorgen, dass von dort aus keine
Terrorangriffe auf Nachbarstaaten ausgeführt würden. Syrien und die Türkei
seien bereit, mit der Regierung in Bagdad über eine Verbesserung der
Grenzsicherung zu sprechen, sagte Assad.
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Die türkische Armee hat nach Angaben aus dem Generalstab noch nicht über einen Zeitplan für eine mögliche Militärintervention im Nordirak entschieden. In Ankara kursieren aber drei Szenarien dafür, berichtet "Turkish Daily News" in ihrer Internet-Ausgabe.
Szenario Nr. 1
Das erste Szenario sieht vor, dass die Türkei mit
mehr als 20.000 Mann rund 40 Kilometer tief in den Nordirak vordringt und
dort bleibt, bis der "letzte Terrorist" der kurdischen
Rebellenorganisation PKK "vernichtet" ist. Allerdings gilt diese
Variante angesichts der schlechten Wetterbedingungen in der Region im
bevorstehenden Winter als wenig wahrscheinlich.
Szenario Nr. 2
Szenario Nummer Zwei sieht eine begrenzte
Militäroperation vor, bei der Bodentruppen mit Luftunterstützung Schläge
gegen die Stützpunkte der PKK ausführen und sich anschließend auf türkisches
Territorium zurückziehen. Angesichts politischer und anderer Umstände gilt
diese Variante als realistischer.
Szenario Nr. 3
In einem dritten Szenario werden die
türkischen Truppen entlang der Grenze massiert, während die Luftwaffe Ziele
der PKK im Irak angreift. Laut Vize-Generalstabschef Ergin Saygun ist die
Armee aber noch dabei, eine Strategie auszuarbeiten, von der die besten
Ergebnisse zu erwarten seien.