Innenminister Schäuble will mit einer Grundgesetz-Änderung einen "Quasi-Verteidigungsfall" ermöglichen. Kritik kommt aus der Opposition.
Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble hat seinen umstrittenen Vorstoß verteidigt, mit Hilfe einer Grundgesetzänderung (Verfassungsänderung) den Abschuss entführter Passagierflugzeuge zu erlauben. Sein Vorschlag, den Verfassungsartikel 87a entsprechend zu erweitern, sei fachlich innerhalb der Bundesregierung abgestimmt, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch in Berlin. "Ob man es machen will, muss nun in der Koalition entschieden werden", sagte er im Bezug auf ablehnende Äußerungen der Opposition und des Koalitionspartners SPD.
Schäuble betonte, sein neuer Gesetzesvorschlag stelle das vor dem Bundesverfassungsgericht gescheiterte Luftsicherheitsgesetz auf eine "einwandfreie Grundlage". Es sei "keine Lösung und unverantwortlich", den Extremfall ungeregelt zu lassen, ob und unter welchen Umständen die Bundeswehr ein entführtes Flugzeug abschießen darf. Zudem setze er mit dem Vorschlag lediglich die Vorgabe des Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD um.
Breiter Widerstand
Schäuble stößt im Bundestag mit
seinem Vorstoß auf breiten Widerstand. Auf "Null" bezifferte
SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz die Chancen, die Idee zu
verwirklichen. "Wir sind bereit zu einer schmalen, eng umrissenen
Verfassungsänderung", sagte er. Für die SPD komme maximal der
Abschuss einer unbemannten oder nur mit Terroristen besetzten Maschine in
Frage.
Schäuble erwägt, über eine Grundgesetzänderung die Bedrohung durch ein gekapertes Verkehrsflugzeug einem Verteidigungsfall gleichzusetzen. So soll ein Abschuss durch die Bundeswehr gerechtfertigt werden. Für eine Verfassungsänderung sind Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat erforderlich.
Empörung bei FDP
Die FDP zeigte sich empört über Schäubles
Verhalten. "Ich halte sein Vorhaben für eine unzulässige Umgehung des
Bundesverfassungsgerichtsurteils", sagte Innenpolitiker Max Stadler.
Dem deutschen Bundesverfassungsgericht zufolge darf der Staat nicht das
Leben unschuldiger Passagiere opfern. "Diese Vorgabe würde durch
Schäubles Vorschlag nicht beachtet", meinte Stadler.
Als Aufkündigung der Verfassung wertete der frühere Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Burkhard Hirsch (FDP), die Pläne Schäubles. "Wenn es dem Staat ermöglicht werden soll, bei einem terroristischen Angriff im Inland das Kriegsrecht auszurufen, dann gehen wir nach Karlsruhe", bekräftigte der Rechtsexperte seine Drohung, erneut das Verfassungsgericht einzuschalten. Hirsch hatte erfolgreich gegen das erste Luftsicherheitsgesetz geklagt.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte die Abwägung "Leben gegen Leben" als Verstoß gegen das Grundgesetz verboten. Aus Sicht des Ersten Senats ist die Menschenwürde und das Recht auf Leben verletzt, wenn von dem Abschuss auch Passagiere und Besatzungsmitglieder betroffen wären. Das gelte selbst dann, wenn ein Flugzeug wie am 11. September 2001 als Terrorwaffe eingesetzt werden soll. Das Gericht hatte sich bei seiner Entscheidung aber nicht mit der Frage befasst, wie die rechtliche Situation im Verteidigungsfall zu bewerten sei, weil dies damals nicht zur Debatte stand.