Euro-Rettungsschirm

Zypern zu wichtig für Staatspleite

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Viele Gründe sprechen gegen eine Rettung des Euro-Staates - Experten rechnen dennoch mit Hilfen aus Brüssel - Entscheidung vor deutscher Bundestagswahl fraglich.

Würden Sie einem Nachbarn Geld leihen, dem der Geheimdienst auf der Spur ist, weil er angeblich für russische Oligarchen Geld wäscht? An dessen Briefkasten Dutzende Namen von Firmen kleben, die mit seiner Hilfe Steuern in ihrer Heimat sparen? Und das auch noch, wenn Sie Bundestagsabgeordneter wären und sich im Herbst zur Wiederwahl stellten? Wohl kaum. In der Eurozone heißt dieser Nachbar Zypern.

Die Regierung in Nikosia hat 17,5 Mrd. Euro beim Euro-Rettungsschirm ESM beantragt, weil die dortigen Banken den Staat in den Abgrund zu reißen drohen. In der deutschen Regierung und Koalition bestehen große Zweifel, ob die Inselrepublik auch mit deutschen Steuergeldern gerettet werden sollte. Doch am Ende dürfte es genau dazu kommen - wegen politischer Interessen, die mit Finanzpolitik wenig tun haben.

Dabei spricht bei der Betrachtung der ökonomischen Fakten wenig für, aber viel gegen eine Rettungsaktion. Das Land mit nur einer Million Einwohner erwirtschaftet mickrige 0,15 Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Eine Staatspleite würde kaum eine globale Kettenreaktion auslösen: Die deutsche Commerzbank errechnet unter Bezug auf die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die Forderungen ausländischer Banken gegen Zypern beliefen sich auf gut 50 Mrd. Euro. Das sind nur 0,17 Prozent aller grenzüberschreitenden Forderungen von Banken weltweit.

Allerdings entfallen davon rund 15,3 Mrd. Euro auf griechische Banken. Ihnen müsste voraussichtlich noch einmal unter die Arme gegriffen werden, das Geld dafür steht aber schon bereit. Auch ein Ausfall der zyprischen Staatsschulden von 14 Mrd. Euro dürfte der Commerzbank zufolge verkraftbar sein. Nicht ohne Grund stellte Finanzminister Wolfgang Schäuble die Frage, ob Zypern für die Eurozone systemrelevant sei - denn das ist eine der formalen Voraussetzungen für Finanzhilfen des ESM.

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"Ökonomisch würde eine Staats- oder Bankenpleite in Zypern andere Euro-Länder vermutlich nicht anstecken", meinen die Commerzbank-Experten. Über die Frage wird in der "Troika" aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) noch gestritten. EZB-Direktor Jörg Asmussen warnte zuletzt vor einer erneuten Infektion Griechenlands und der anderen Euro-Wackelkandidaten.

Aber selbst wenn die Troika zu der Einschätzung kommt, dass Zypern aus Sorge um die Eurozone insgesamt gerettet werden muss - könnte das Land die Kredite überhaupt zurückzahlen? Die 17,5 Mrd. Euro entsprechen fast dem Bruttoinlandsprodukt eines Jahres. Der Schuldenstand würde von jetzt 70 Prozent des BIP auf rund 170 Prozent hochschnellen, fast drei Mal so viel wie in der EU eigentlich erlaubt ist. Wie soll das Land mit seiner geringen Wirtschaftskraft Zins und Tilgung bedienen? Der IWF hat deshalb Zweifel an der Schuldentragfähigkeit Zyperns und verlangt einen Schuldenschnitt - was nur ein Synonym für die Staatspleite ist.

Hinzu kommen politische Probleme: Zypern ist selbst Schuld an seiner Misere. Der Finanzsektor wuchs von 1995 bis 2011 um 240 Prozent, sein Anteil an der Gesamtwirtschaft erhöhte sich damit von 4,9 auf 8,8 Prozent. Das Land hat voll auf die Banken gesetzt und sich verzockt. Mit einem Steuersatz von zehn Prozent auf Unternehmensgewinne hat sich die Insel außerdem den Vorwurf des Steuerdumpings zugezogen. Der Bundesnachrichtendienst (BND) wirft der Regierung zudem vor, zu wenig gegen Geldwäsche zu tun. Die Insel ist bei Briefkastenfirmen sehr beliebt.

All das spricht nicht dafür, Zypern zu retten. Aber es gibt auch Gründe dafür, Milliarden nach Nikosia zu überweisen. Und diese werden nach Einschätzung von Experten entscheidend sein. "In Brüssel will man Zypern auf jeden Fall halten", verrät ein Unions-Politiker mit besten Drähten zur EU-Kommission. Freier sprechen kann die Etat-Expertin der Grünen, Priska Hinz, die von der deutschen Regierung im Bundestag-Haushaltsausschuss unterrichtet wird: "Das Interesse, Zypern weiter stark an die EU zu binden, wird als wesentlicher Punkt mit zu berücksichtigen sein." Das Land sei ein Brückenpfeiler Europas in den aufgewühlten Nahen Osten. Auch für das Zusammenspiel mit der Türkei sei die geteilte Insel, deren Norden die Türkei seit 1974 besetzt hält, zu wichtig, um es anderen Mächten als Spielball ihrer Interessen zu überlassen.

Hinzu kommt die enge Bindung Zyperns an Russland. "Der EU dürfte es nicht gefallen, wenn der russische Einfluss in Zypern noch größer wird", schreiben die Commerzbank-Experten. Schon jetzt verhandelt Russland parallel mit der zypriotischen Regierung über Milliardenhilfen; 2,5 Mrd. Euro waren schon 2012 aus Moskau gekommen. Zudem haben die Russen ein Auge auf die vor Zypern liegenden Gasvorkommen geworfen. Die Insel würde sich außerdem als Flottenstützpunkt eigen, falls Russland seinen Mittelmeer-Hafen in Syrien wegen der dortigen Unruhen verlieren sollte.

Aber auch ökonomisch sprechen Gründe dafür, das Land nicht ins finanzielle Chaos abgleiten zu lassen. So kann niemand mit Sicherheit ausschließen, dass eine Pleite eine Kettenreaktion auslösen würde. Jedenfalls kämen neue Unsicherheiten an den Märkten mit explodierenden Risiko-Aufschlägen für spanische oder italienische Staatsanleihen die Eurozone teurer zu stehen als der vergleichsweise geringe Betrag zur Stabilisierung Zyperns.

Umsonst wird die Rettungsaktion jedoch nicht sein. "Ich habe große Zweifel, ob das geht ohne einen Gläubigerschnitt", sagt der Haushaltsexperte der Unions-Fraktion, Norbert Barthle. Damit steht im Raum, dass - wie in Griechenland - die privaten Gläubiger zur Ader gelassen werden. Auch die Regierung wird liefern müssen, vor allem bei der Geldwäsche-Kontrolle und den Steuersätzen. Der Reuters vorliegende Entwurf für eine Hilfsvereinbarung Zyperns mit der Troika sieht außerdem eine deutliche Verkleinerung des aufgeblähten Bankensektors vor.

Die Commerzbank kann sich auch vorstellen, dass der ESM später die Kosten der Bankenrettung - zehn der 17,5 Mrd. Euro - auf sein Konto nehmen wird. Das ist rechtlich jetzt nicht möglich, nach der Etablierung der gemeinsamen Bankenaufsicht in der Eurozone aber denkbar. Zudem könnten die Einnahmen aus den erwarteten Gasverkäufen zur Schuldentilgung verwendet werden. Beides würde die Schuldentragfähigkeit erheblich verbessern.

Bis zur Lösung des Zypern-Problems ist es allerdings noch ein weiter Weg. So rechnet das Bundesfinanzministerium nicht vor dem zweiten Quartal mit der Aufnahme ernsthafter Verhandlungen. Hinz hat Zweifel, ob vor der deutschen Bundestagswahl überhaupt noch eine Entscheidung fällt. Denn der Bundestag müsste dem Hilfspaket ja zustimmen - und die Abgeordneten ihren Wählern vorher am Infostand erklären, dass der verdächtige Nachbar Geld bekommt.

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