Gemischt waren die Reaktionen auf das Scheitern der WTO-Verhandlungen. Von Enttäuschung, über Erleichterung bis hin zu Schuldzuweisungen.
Wirtschaft und Politik haben das Scheitern der Welthandelsrunde in Genf zum Abbau von Handelsschranken bedauert. WTO-Chef Pascal Lamy zeigte sich am Mittwoch im französischen Radiosender France Info skeptisch zu den Erfolgsaussichten von fortgesetzten Gesprächen im Herbst. In den Vereinigten Staaten steht dann die Präsidentenwahl an. Die USA und Indien gaben sich gegenseitig die Schuld am Misserfolg der neuntägigen Genfer Marathonverhandlungen zu, die am Dienstagabend nach neuntägigen Verhandlungen erfolglos abgebrochen werden mussten. Wirtschaftsvertreter in aller Welt und viele Regierungen bedauerten das Aus.
Schuld bei Washington?
Lamy erklärte, die 153 Mitgliedstaaten
müssten sich "ernsthaft fragen, ob und wie sie die Scherben wieder kitten
wollen", sagte er in Genf. Experten halten die Chancen für einen Neuanlauf
für den Abbau von Handelsschranken vor 2010 für gering. EU-Handelskommissar
Peter Mandelson sprach sich dennoch für fortgesetzte Gespräche nach einem
"Sommer des Nachdenkens" aus.
Die USA und Indien machten jeweils die andere Seite für das Scheitern verantwortlich. "Alle Länder haben sich flexibel gezeigt, nur ein einziges nicht", kritisierte die US-Handelsbeauftragte Susan Schwab in Genf. Der indische Handelsminister Kamal Nath machte Washington verantwortlich. Beide Länder hatten sich zuletzt nicht auf Agrar-Schutzklauseln verständigen können. Diese hätten es unter anderem Indien erlaubt, seine Bauern bei einem starken Anstieg von Agrarimporten mit Zöllen zu schützen.
Erleichterung bei Frankreich und Italien
Erleichtert zeigten sich
Frankreich und Italien. Beide Länder blockierten zuletzt weitgehende
Zugeständnisse der EU beim Abbau von Agrarsubventionen, wie sie die
Entwicklungsländer gefordert hatten. Die französische
Handelsstaatssekretärin Anne-Marie Idrac sagte im Radiosender BFM, vom
Abbruch der Gespräche gehe "die Welt nicht unter". Der italienische
Landwirtschaftsminister Luca Zaia zeigte sich sogar "sehr zufrieden". "Ich
betrachte mich als einen derjenigen, die für ein Scheitern waren", sagte er
der Zeitung "La Repubblica".
Kritik kam aus den Schwellenländern. Indonesiens Handelsministerin Mari Elka Pangestu, die die Entwicklungsländergruppe G-33 koordiniert, sagte: "Wir waren alle zu Kompromissen bereit." Chinas Handelsminister Chen Deming zeigte sich auf seiner Internetseite "sehr enttäuscht". Er hoffe, dass alle Mitglieder der Welthandelsorganisation eine Lehre aus dem Scheitern ziehen würden. Besonders betroffen zeigten sich Vertreter Brasiliens, dessen Biotreibstoff-Hersteller auf eine Senkung der Importzölle in den Industrieländern gehofft hatten.
Arme als Verlierer
Als Exportweltmeister hätte Deutschland
besonders von einer stärkeren Öffnung der Märkte profitiert, betonten
mehrere deutsche Unternehmerverbände am Mittwoch in Berlin. Die Berliner
Regierung sieht vor allem die armen Länder als Verlierer, denen nun
Einkommenszuwächse in dreistelliger Milliardenhöhe entgingen. Die deutsche
Wirtschaft sieht in den gescheiterten Verhandlungen der
Welthandelsorganisation (WTO) eine Niederlage für die Exporteure und auch
für die Verbraucher. Ein Abbau von Handelshemmnissen hätte die Importe von
Textilien und Elektronik um bis zu zehn Prozent verbilligt. Auch
Nahrungsmittel wären mittelfristig günstiger geworden, wenn Einfuhrzölle wie
geplant gefallen wären. Die stark auf den Export ausgerichtete
Maschinenbaubranche zeigte sich ebenfalls enttäuscht. In Schwellenländern
wie Brasilien, China und Indien würden die Geschäfte dadurch erschwert.
Nach dem Scheitern der WTO-Verhandlungen rücken für die Schweiz wieder bilaterale Freihandelsabkommen ins Zentrum. Nicht weniger als 18 Freihandelverträge bestehen zurzeit. Nächstes Jahr soll das Freihandelabkommen mit Kanada in Kraft treten. Unterschriftsreif sind die Verträge mit Kolumbien und dem Kooperationsrat der arabischen Golfstaaten (Bahrein, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate). Verhandelt wird zurzeit mit Japan, Indien, Peru, Thailand und Algerien. Mit verschiedenen Staaten laufen daneben Vorgespräche, so mit China, den USA, Indonesien, Russland, Serbien und Albanien. Zudem hat der Bundesrat am 14. März das Verhandlungsmandat für den freien Agrarhandel mit der EU verabschiedet.