"3096 Tage"

Kampusch Buch: Das steht drin

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ÖSTERREICH hat die erste Buchkritik über alle zehn Kapitel von "3096 Tage".

„Bild“ bis „Daily Mail“ – das Natascha-Buch sorgt derzeit europaweit für Schlagzeilen. Erstmals schildert Natascha Kampusch ausführlich ihre acht Jahre Martyrium. Die Entführung, das Leben im Verlies, die Flucht vor ihrem Peiniger.

Auf den folgenden Seiten gibt Ihnen ÖSTERREICH als Kritik einen ersten Überblick über das komplette Buch. Das steht wirklich drin in den zehn Kapiteln auf 284 Seiten. Hier weicht Nataschas Schilderungen vom Polizeiprotokoll und ihrer Einvernahme unmittelbar nach der Befreiung im Eisenstädter Hotel ab.

Fakt bleibt: Das Buch liefert einen beklemmenden Einblick in acht Jahre voller Angst, beschreibt den Entführer Wolfgang Priklopil als „Mama-Bubi“, einen Psychopathen mit zwei Gesichtern, nett, fürsorglich, in der anderen Sekunde aufbrausend, jähzornig. Wegen einer Kleinigkeit wirft er ein Stanleymesser nach Natascha (es bleibt im Knie stecken), prügelt bis zu 60 Mal auf ihr Gesicht ein. All das hält Natascha in einem Tagebuch in ihrem Verlies fest.

Schweigen
Aber wir erleben auch eine Natascha, die aufbegehrt, sich wehrt, ihren Peiniger in den Bauch boxt, die Konsequenzen in Kauf nimmt, stark bleibt.

Ein letztes Geheimnis bewahrt sich Natascha: Ob sie Sex mit Priklopil hatte. Sie schreibt, dass sie in seinem Bett lag, dass er kuscheln wollte, aber hier bricht sie ab. „Es ist der letzte Rest Privatsphäre, den ich mir noch bewahren will.“

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Die erste Nacht im Bett von Priklopil
Das sensibelste Kapitel im Buch. Natascha schildert die ersten sexuellen Annäherungen von Priklopil.

Gefesselt
Im Polizei-Verhör hatte Natascha noch über Sex mit Priklopil geredet. Im Buch sagt sie: „Ich will mit den letzten Rest Privatsphäre bewahren.“

Als ich 14 geworden war, verbrachte ich zum ersten Mal seit vier Jahren eine Nacht über der Erde. Es war kein Gefühl der Befreiung.

Ich lag starr vor Angst im Bett des Täters. Er sperrte die Tür hinter sich zu und platzierte den Schlüssel auf dem Schrank, der so hoch war, dass er selbst nur auf Zehenspitzen hinaufreichte. Für mich war er damit unerreichbar. Dann legte er sich zu mir und fesselte mich an den Handgelenken mit Kabelbindern an sich.

Eine der ersten Schlagzeilen über den Täter nach meiner Selbstbefreiung lautete: „Die Sexbestie“ Ich werde über diesen Teil meiner Gefangenschaft nicht schreiben – es ist der letzte Rest an Privatsphäre, den ich mir noch bewahren möchte, nachdem mein Leben in Gefangenschaft in unzähligen Berichten, Verhören, Fotos zerpflückt wurde. Doch so viel will ich sagen: In ihrer Sensationsgier lagen die Boulevardjournalisten weit daneben. Der Täter war in vielerlei Hinsicht eine Bestie und grausamer, als man es sich überhaupt ausmalen kann – doch in dieser war er es nicht. Natürlich setzte er mich auch kleinen sexuellen Übergriffen aus, sie wurden Teil der täglichen Drangsalierungen, wie die Knüffe, die Fausthiebe, die Tritte im Vorbeigehen gegen das Schienbein. Doch wenn er mich in den Nächten, die ich oben verbringen musste, an sich fesselte, ging es nicht um Sex. Der Mann, der mich schlug, in den Keller sperrte und hungern ließ, wollte kuscheln. Kontrolliert, mit Kabelbindern gefesselt, ein Halt in der Nacht.

Ich hätte schreien können, so schmerzhaftparadox war meine Lage. Mein Rücken war, wie so oft, grün und blau geschlagen, er tat so weh, dass ich nicht darauf liegen konnte, die Kabelbinder schnitten ins Fleisch. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und verkrampfte.

Bis zum nächsten Morgen blieb ich an den Täter gefesselt. Wenn ich aufs Klo musste, dann musste ich ihn wecken, und er begleitete mich, sein Handgelenk an meinem, bis zur Toilette. Als er neben mir eingeschlafen war und ich mit rasendem Herzklopfen wach lag, überlegte ich, ob ich die Fessel wohl sprengen könnte – doch ich gab es bald auf: Wenn ich das Handgelenk drehte und meine Muskeln anspannte, schnitt das Plastik nicht nur in meinen Arm, sondern auch in seinen. Er wäre unweigerlich aufgewacht und hätte meinen Fluchtversuch sofort bemerkt. Heute weiß ich, dass auch die Polizei bei Verhaftungen Kabelbinder einsetzt. Sie sind mit der Muskelkraft einer hungernden 14-Jährigen ohnehin nicht zu sprengen.

So lag ich, an meinen Entführer gefesselt, das erste Ma

l von vielen in diesem Bett. Am darauf folgenden Morgen musste ich mit dem Täter frühstücken. Sosehr ich dieses Ritual als Kind gemocht hatte – jetzt wurde mir übel von der Verlogenheit, mit der er mich zwang, mit ihm am Küchentisch zu sitzen und Milch zu trinken, dazu zwei Esslöffel Müsli, keinen Bissen mehr. Heile Welt, als wäre nichts geschehen.

In diesem Sommer versuchte ich das erste Mal, mir das Leben zu nehmen.

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Erschütternd: Natascha führt Tagebuch. Und listet auf, welche Misshandlungen sie in einer einzigen Woche erdulden musste.

20. 8. 2005 Wolfgang schlug mich mindestens drei Mal ins Gesicht, stieß mir ca. 4 Mal das Knie ins Schienbein und einmal gegen das Schambein. Er zwang mich, vor ihm niederzuknien, und bohrte mir einen Schlüsselbund in den linken Ellenbogen, wovon ich einen Bluterguss und eine Schürfwunde mit gelblichem Ausflusssekret davontrug ... Sechs Fausthiebe auf den Kopf.

21. 8. 2005 Beschimpfungen ohne Grund. Dann Schläge und übers Knie legen. Tritte und Puffe. Sieben Schläge ins Gesicht, ein Fausthieb auf den Kopf. Beschimpfungen und Schläge ins Gesicht, ein Fausthieb auf den Kopf. Beschimpfungen und Schläge ...

22. 8. 2005 Fausthiebe auf den Kopf.

23. 8. 2005 Mindestens 60 Schläge ins Gesicht. 10-15 schwere Übelkeit verursachende Schläge mit der Faust auf den Kopf, vier Schläge mit der flachen brutalen Hand auf den Kopf, ein Fausthieb voller Wucht auf mein rechtes Ohr und Kiefer. Das Ohr färbt sich schwärzlich. Würgen, schweren Uppercut, dass der Kiefer knirschte, Knietritte ca. 70 Stück, vorwiegend ins Steißbein und auf den Po. Fausthiebe ins Kreuz und auf das Rückgrat, die Rippenbögen und zwischen die Brüste. Schläge mit dem Besen auf den linken Ellenbogen und den Oberarm (schwärzlich-brauner Bluterguss), sowie das linke Handgelenk. Vier Schläge ins Auge, sodass ich blaue Blitze sah. U.v.m.

24. 8. 2005 Brutale Tritte mit dem Knie in Bauch und Genitalbereich (wollte mich zum Knien bringen). Sowie auf die untere Wirbelsäule. Schläge mit der Handfläche ins Gesicht, ein brutaler Fausthieb auf mein rechtes Ohr (schwarzblaue Verfärbung). .

25. 8. 2005 Fausthiebe auf meine Hüftknochen und mein Brustbein ...

26. 8. 2005 ... Schläge auf die Vorderseite meiner Oberschenkel und auf meinen Po ... sowie schallende, brennende rote Pusteln zurücklassende Schläge auf Po, Rücken, seitlichen Oberschenkel, rechte Schulter und Achsel sowie Busen.

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