Israilov-Prozess

Gericht will Kadyrow per Video befragen

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Es muss eruiert werden, ob der tschetschenische Präsident bereit ist.

Im Prozess um den am 13. Jänner 2009 in Wien-Floridsdorf erschossenen tschetschenischen Flüchtling Umar Israilov möchte das Gericht den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow befragen. Der Vorsitzende Friedrich Forsthuber ersuchte am Freitag den Verteidiger des Angeklagten Otto K., Rudolf Mayer, der die zeugenschaftliche Einvernahme Kadyrows verlangt hatte, zu eruieren, ob jener bereit wäre, dem Gericht per Videokonferenz "oder durch persönliches Erscheinen" offene Fragen in der Causa Israilov zu beantworten.

Erscheinen Kadyrows unwahrscheinlich

Dass Kadyrow nach Wien kommt, scheint äußerst unwahrscheinlich, zumal die Staatsanwaltschaft gegen ihn auf Basis eines Berichts des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) ermittelt, demzufolge es deutliche Hinweise auf eine Verwicklung des Politikers in den Mordfall Israilov gibt. Die Anklagebehörde geht davon aus, dass Kadyrow die Entführung des 27-Jährigen in Auftrag gegeben und Otto K. mit der Durchführung betraut haben könnte, nachdem Israilov Kadyrow wegen angeblich systematischer Folterungen in Tschetschenien beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angezeigt hatte.

Angeklagter kennt Kadyrow "persönlich sehr gut"
Otto K. hatte in seiner Einvernahme erklärt, er kenne Kadyrow seit 1998 "persönlich sehr gut" und sei mit diesem "freundschaftlich und eng" verbunden. Als der 42-Jährige am Freitagnachmittag von den Plänen des Gerichts erfuhr, Kadyrow anzuhören,  meinte er, er werde über seine Schwester versuchen, an den Präsidenten heranzutreten: "Ich brauche Zeit, um Kontakt aufzunehmen. Ich werde am Montag sagen können, ob diese Möglichkeit besteht oder nicht besteht."

Befragung per Videotelefonie
Otto K. versichert, Kadyrow hätte "mit der Tragödie vom 13. Jänner" eben so nichts zu tun wie er selbst. Das Gericht möchte sich trotzdem per Videotelefonie einen Eindruck vom tschetschenischen Staatschef verschaffen, "der mit einer Einvernahme im Rechtshilfeweg nicht annähernd zu erreichen wäre", wie Forsthuber anmerkte.

Verfahren frühestens im Jänner 2011 beendet
Zeit, mit Kadyrow einen Termin festzulegen, hätte das Gericht jedenfalls genug: Das Verfahren, das ursprünglich Ende November zu Ende gehen hätte sollen, wird frühestens Ende Jänner 2011 finalisiert. Am Freitag wurden vier zusätzliche Verhandlungstermine (2. Dezember, 19., 24. und 25. Jänner) anberaumt, nachdem man mit dem Prozessfahrplan bereits in erheblichen Verzug geraten war.

Am Vorabend der Bluttat angeworben
Abgeschlossen konnte am Freitag die Einvernahme des Drittangeklagten Turpal-Ali Y. werden. Dieser soll laut Anklage am Vorabend der Bluttat angeworben worden sein, um Israilov zu entführen und außer Landes zu schaffen. Weil dieser Versuch scheiterte, sollen der 31-Jährige und Letscha B. Israilov erschossen haben, wobei der Staatsanwalt in letzterem den Todesschützen sieht. Letscha B. war es gelungen, sich nach dem Verbrechen ins Ausland abzusetzen, mittlerweile soll er sich wieder in Tschetschenien befinden und dort eine Polizeitruppe anführen.

"Ich wurde reingelegt"
"Ich bin nicht schuldig. Ich wurde reingelegt", sagte Turpal-Ali Y. Man habe ihn am 13. Jänner gebeten, nach Wien zu fahren: "Man hat mir nicht erklärt, dass dort irgendeine Auseinandersetzung sein wird." Er habe Israilov nicht gekannt, keine Waffe getragen, nicht geschossen und sei völlig überrascht gewesen, als er in der Hand von Letscha B. eine Pistole erblickte, nachdem dieser offenbar auf den tschetschenischen Flüchtling gefeuert hatte.

Mutmaßlicher Todesschätze "ein Psychopath oder ein Trottel"
Er habe sich bei Letscha nicht erkundigt, was geschehen sei, nachdem er mit diesem - seiner Aussage zufolge aus Angst - vom Tatort davongelaufen war, meinte der Drittangeklagte: "Wir haben nach der Tat im Prinzip nicht miteinander gesprochen. Ich habe gesehen, dass Letscha ein Psychopath oder ein Trottel ist. Deshalb habe ich beschlossen, nicht mit ihm zu sprechen. Man hätte auch mich erschießen können."

Unverständliches Vorgehen der Polizei
Einige Verwunderung gab es, als die DNA-Expertin Christina Stein ihr Gutachten erstattete. Wie die Sachverständige darlegte, hatte sie am Tatort sichergestellte bzw. verdächtige Gegenstände von der Polizei nicht erhalten, sondern nur sogenannte Abriebprofile, die Beamte von den Beweisstücken angefertigt hatten. Weshalb Stein nicht ein aufgefundenes zusammengeknülltes Plastiksackerl in die Hand gedrückt bekam, mit dem Israilov möglicherweise geknebelt worden sollte, um dieses auf  genetische Fingerabdrücke zu untersuchen, erschien dem vorsitzenden Richter völlig unverständlich.

Israilov von drei Kugeln getroffen
Wie der Gerichtsmediziner Johann Missliwetz darlegte, wurde Israilov von drei Kugeln getroffen, wovon ein Steckschuss zum Verbluten führte. Auf die Frage eines Geschworenen, ob dieser Treffer unweigerlich zum Tod führen musste, erwiderte Missliwetz: "Er hätte vielleicht überlebt, wenn er vor dem OP-Saal im AKH getroffen worden wäre. Hier aber war die Blutung schneller als der Chirurg."

Hauptangeklagter fürchtet "radikal-islamistische Gruppe"
Am späten Freitagnachmittag wurde dann noch die Einvernahme des Hauptangeklagten Otto K. fortgesetzt. Dieser gab an, eine radikal-islamistische Gruppe habe "den Beschluss gefasst, dass ich getötet hätte werden sollen".

Fortsetzung am Montag

Der Prozess wird am kommenden Montag mit der Befragung des 42-Jährigen fortgesetzt. Danach soll erstmals auch der Zweitangeklagte Suleyman D. angehört werden, der in der ersten Verhandlungswoche - abgesehen von einem kurzen Eingangsstatement - überhaupt nicht zu Wort gekommen ist.

 

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