Das sagt ÖSTERREICH

Wen wählen bei der EU-Wahl: Kanzler, Zorn oder gar Crash?

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Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.

Die Europa-Wahl wird zu einer der spannendsten Entscheidungen in der 2. Republik – voll Emotion, Drama, Weichenstellung.

Längst ist das morgige Votum keine reine EU-Wahl mehr, für die meisten wird Europa nur Nebensache sein. Wir erleben vielmehr die große Testwahl nach dem Ende von Türkis-Blau, das erste Stimmungsbarometer nach dem Strache-Video und den Vorgeschmack auf die völlig unberechenbare Neuwahl im September.

Kein Experte wagt mehr eine Prognose für den Wahlausgang – alles ist möglich: von der totalen Wahlschlappe für die FPÖ bis zu einem triumphalen Wahlsieg mit dem „Jetzt erst recht“-Motto.

Genauso unberechenbar ist das Ergebnis der SPÖ: Sie kann diese Wahl gewinnen und den Kanzler schwer erschüttern, wenn es zum großen Protestvotum gegen Türkis-Blau kommt – oder sie kann auf Platz 3 abstürzen und damit die neue Parteivorsitzende gleich ­wieder verlieren, wenn sie ihre Stammwähler nicht mobilisiert.

Und ganz ehrlich: Wissen Sie noch, wen Sie wählen sollen in diesem Chaos? Wen wählt man, wenn man wütend ist auf all die politischen Korruptionisten in diesem Land? Wenn man sich geniert für diese Republik der Schande? Wenn man frustriert ist über den drohenden Stillstand, nachdem das türkis-blaue Regierungs-Auto gegen die Wand gekracht ist?

Wer ÖVP wählt, gibt seine Stimme wohl vor allem dem Kanzler – und setzt ein klares Zeichen, dass er eine Fortführung der nun nur noch türkisen Regierung will.

Falls Europa bei dieser Wahl für Sie noch eine Rolle spielt (was es sollte!), ist ein ÖVP-Votum eine Stimme für eine Politik der Mitte, die freilich kein Problem radikal anpackt: Klimaschutz, Asyl, EU-Kompetenzen – die ÖVP sagt immer „sowohl als auch“. Für mehr Europa – aber auch für mehr Österreich. Weil das auch die meisten Österreicher wollen und fast 60 % für Kanzler Kurz sind, müsste die ÖVP morgen eigentlich souverän gewinnen.

Aber keiner weiß, wie viele ÖVP-Wähler vom Ende der Regierung so frustriert sind, dass sie am Sonntag zu Hause bleiben – und die ÖVP vielleicht sogar Platz 1 verliert.

Für die SPÖ müssten Regierungs-Crash, Ibiza und Frust über Stillstand eigentlich der aufgelegte Elfmeter sein, um bei der EU-Wahl endlich Platz 1 zu erreichen.

Allerdings befürchten viele SPÖ-Insider, dass die SPÖ ihre Wähler so schlecht mobilisiert, dass sie sogar Gefahr laufen könnte, auf Platz 3 hinter die FPÖ zurückzufallen. Das wäre dann für die SPÖ der Super-GAU und würde wohl schon wieder zum Abschied der neuen Parteivorsitzenden führen.

Für die SPÖ geht es morgen also um alles – Platz 1 und damit Poleposition für die Neuwahl oder Platz 3 und Absturz ins totale Chaos. Fad wäre nur Platz 2.

Die FPÖ dagegen hat am Sonntag den wohl dramatischsten Tag ihrer Parteigeschichte. Sie ist durch den absoluten Wahlkampf-Horror gegangen. Mehr Schaden als das Strache-Video angerichtet hat, ist für eine Partei kaum denkbar. Parteichef, Klubobmann, blaue Regierungsriege – alle sind weg, politisch tot.

„FPÖ am Ende“, titelten bereits die Zeitungen. Doch manchmal kommt es anders, als man denkt. Meinungsforscher haben zuletzt eine unfassbare Mobilisierung der FPÖ-Basis registriert. Die FPÖ steht vielleicht vor der irrsten Auferstehung seit Jesus. Manche halten sogar wegen der „Jetzt erst recht“-Stimmung schon Platz 1 für die Pleite-Blauen für möglich.

Warum wählt man eine Partei, die gerade das ganze Land in Schande gestürzt hat? Vielleicht, weil man so wütend ist, dass man die ganze Politik crashen will. Vielleicht, weil man als Wutwähler seinen Aggressionen freien Lauf lässt. Vielleicht auch, weil diese Partei im EU-Wahlkampf als einzige für Asyl-Brutalität und Österreich-Nationalismus war. Ein Leser schrieb mir gestern: „Ich bin so wütend, dass ich heute 2 Stunden im Chaos auf der A23-Autobahn stehen musste, dass ich FPÖ wählen werde!“ Das sagt viel …

Ein Land, das Petzner fast zum „Dancing Star“ gewählt hätte, kann auch die FPÖ nach einem Skandal zum EU-Wahlsieger machen.

Die Stimmen für Neos und Grüne werden in dieser Situation leider nicht entscheidend sein. Sie sind Sympathie-Stimmen – für die beste, frechste und kompetenteste EU-Kandidatin Gamon. Und für den kämpferischen Grün-Oldie Kogler, der sich ein Comeback für seine Grünen verdient hätte.

Ihr Votum am Sonntag wird die Zukunft dieser Republik vorentscheiden: In Richtung Kanzler und Regierung. Oder in Richtung der Herausforderin Rendi-Wagner und ihrer SPÖ-Opposition. Oder – wenn alles völlig verrückt läuft – sogar in Richtung FPÖ.

So oder so –am Montag erleben wir einen Neustart für Österreich.

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