Kritik an Israel

Grass-Gedicht sorgt für Skandal

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Der Zentralrat der Juden verurteilt das "aggressive Pamphlet der Agitation".

Mit heftiger Kritik an Israels Atompolitik hat sich Literaturnobelpreisträger Günter Grass öffentlich zu Wort gemeldet und damit eine Welle der Empörung in Deutschland ausgelöst. "Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden", schrieb der Schriftsteller in dem Gedicht "Was gesagt werden muss", das am Mittwoch in der "Süddeutschen Zeitung" und anderen internationalen Blättern erschien. Sich selbst wirft er vor, zu lange dazu geschwiegen zu haben. In seinem Prosagedicht kritisiert der 84-Jährige auch die geplante Lieferung eines weiteren U-Boots "aus meinem Land" nach Israel. Gleichzeitig bekundet er seine Verbundenheit zum jüdischen Staat.

Empörung
Politiker, jüdische Organisationen und Intellektuelle reagierten empört und warfen Grass vor, die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. Nicht Israel, sondern das iranische Mullah-Regime bedrohe den Weltfrieden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nannte den Text "ein aggressives Pamphlet der Agitation". CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe äußerte sich über Tonlage und Ausrichtung des Gedichts entsetzt. Der Publizist Ralph Giordano (89) nannte es einen "Anschlag auf Israels Existenz".

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte "Spiegel Online", angesichts der Lage im Nahen Osten empfinde sie das Gedicht als "irritierend und unangemessen". Dagegen stellte sich die Linke hinter den Schriftsteller. Grass habe den Mut auszusprechen, was weithin verschwiegen worden sei, erklärte das Linken-Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke.

"Freiheit der Kunst"
Die deutsche Regierung äußerte sich zurückhaltend zu dem Text. "Es gilt in Deutschland die Freiheit der Kunst", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Und es gibt glücklicherweise auch die Freiheit der Bundesregierung, sich nicht zu jeder künstlerischen Hervorbringung äußern zu müssen."

Grass fragt in dem Text, warum er es sich bisher untersagt habe, "jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten - ein wachsend nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?" Er fühle es als "belastende Lüge und Zwang", dass er bisher dazu geschwiegen habe. Wer dieses Schweigen breche, dem stehe eine "Strafe" in Aussicht: "das Verdikt 'Antisemitismus' ist geläufig".

Bobelpreisträger
Grass hatte sich 2006 dazu bekannt, dass er als 17-Jähriger am Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS war. Kritiker warfen ihm vor, seine SS-Zugehörigkeit jahrzehntelang verschwiegen zu haben, während er andere immer wieder wegen ihrer NS-Vergangenheit öffentlich kritisierte. Manch einer sprach ihm die moralische Integrität ab.

Der Nobelpreisträger spricht in dem Gedicht von einem behaupteten Recht auf den Erstschlag gegen "das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk", nur weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet werde. Er sei der "Heuchelei des Westens" überdrüssig und hoffe, dass sich viele von dem Schweigen befreien. Er fordert, "dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potenzials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird".

"Warum aber schwieg ich bislang?", fragt sich Grass und nennt als Grund: "Weil ich meinte, meine Herkunft, die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist, verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will, zuzumuten."

Die israelische Botschaft stellte das Gedicht in die Reihe anderer antisemitischer Vorurteile. "Was gesagt werden muss ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen", erklärte der Gesandte Emmanuel Nahshon. Israel sei nicht bereit, "die Rolle zu übernehmen, die Günter Grass uns bei der Vergangenheitsbewältigung des deutschen Volkes zuweist".

Der Publizist Henryk M. Broder nannte Grass in einem Artikel in der Zeitung "Die Welt" den "Prototypen des gepflegten Antisemiten, der es mit den Juden gut meint", aber von Schuld- und Schamgefühlen verfolgt und vom dem Wunsch getrieben werde, "Geschichte zu verrechnen". Dagegen unterstützte der Präsident des deutschen Pen-Zentrums, Johano Strasser, Grass' Meinung. Er warne dringend vor Waffenexporten Deutschlands an eine israelische Regierung, die den Anschein erwecke, ein Krieg gegen den Iran sei unausweichlich, sagte Strasser dem Radiosender NDR Kultur.

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sagte im SWR, er finde es unsäglich und außerordentlich traurig, dass Grass "seine dichterischen Künste dazu missbraucht, ein ziemlich dummes Agitprop-Gedicht zu publizieren". In Deutschland bestehe kein Tabu, Israel zu kritisieren, sagte Brumlik.

Israel fühlt sich vom Atomprogramm des Iran bedroht und hat einen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen nicht ausgeschlossen. Vor allem westliche Staaten verdächtigen den Iran, am Bau von Atomwaffen zu arbeiten. Die Islamische Republik bestreitet dies.

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