Rebellen unter Druck

Wende im syrischen Bürgerkrieg?

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Die Moral der Anti-Assad-Kämpfer in Aleppo ist am Boden.

Aus den Worten der Rebellen in Nordsyrien lies sich Verzweiflung heraus. Luftangriffe wie in den vergangenen Tagen haben die Gegner des Regimes bisher noch nicht erlebt. "Die russischen Flugzeuge lassen alles in Flammen aufgehen", berichtet Sami Obeid, Kommandant der Rebellengruppe Jaysh al-Mujaheddin, am Telefon. "Die Intensität der Luftangriffe ist unbeschreiblich, sie nehmen jede Minute zu."

Auch Tarik Abu Seid, Sprecher der Brigade Jaysh al-Thuwar, zeigt sich ernüchtert. Die russische Luftunterstützung für das Regime werde nicht stoppen, sagt er: "Um ehrlich zu sein: Die Moral der Rebellen ist am Boden."

Aleppo als Symbol für den Konflikt
Fünf Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges stehen die Gegner von Präsident Bashar al-Assad vor ihrer größten Niederlage. Mithilfe russischer Jets und vom Iran finanzierter schiitischer Kämpfer aus dem Ausland konnte die syrische Armee die wichtigste Nachschubroute der nordsyrischen Aufständischen in Richtung Türkei kappen. Nun dürfte das Regime versuchen, die von Rebellen kontrollierten Teile der früheren Handelsmetropole Aleppo von der Außenwelt abzuschneiden.

Sollte ihnen das gelingen, wäre das nicht nur militärisch ein schwerer Schlag für die Rebellen. Aleppo, einst Heimat für Millionen, steht symbolisch für den gesamten Konflikt. Aleppo ist umkämpft wie keine andere Stadt und militärisch geteilt: Das Regime und seine Verbündeten kontrollieren den Westen, Rebellen den Osten. Wer Aleppo einnimmt, könnte den gesamten Bürgerkrieg gewinnen.

Wendepunkt
Von einem "Wendepunkt" spricht Fabrice Balanche vom Washington Institute for Near East Policy. "Das ist für die Moral der Armee wichtig", sagt er. Die Soldaten könnten nun erkennen, "dass das Regime gewinnen wird - dank Russland und schiitischer Milizen".

Nicht nur die Rebellen sind überzeugt, dass der russische Einsatz den Ausschlag zugunsten der Assad-Anhänger gibt. Sie werfen Moskau vor, ein doppeltes Spiel zu spielen. Schon seit Ende September unterstützt die russische Luftwaffe das Assad-Regime. Die Angriffe auf das Gebiet um Aleppo nahmen jedoch ausgerechnet in der Zeit zu, als Regierung und Opposition in Genf erste Friedensgespräche führen sollten - die Russland mit vorangetrieben hat. Putin verfolge eine "schizophrene Doppelstrategie", sagte der Russland-Beauftragter der deutschen Regierung, Gernot Erler (SPD), der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Ankara unter Druck
Beim Syrien-Spitzentreffen der internationalen Gemeinschaft in München dürfte es am Donnerstag vor allem um den Militäreinsatz Moskaus gehen. Dort wird auch die türkische Regierung mit am Tisch sitzen, die sich in einer unbequeme Lage befindet. Denn die Erfolge des syrischen Regime setzen Ankara massiv unter Druck.

Zehntausende syrische Flüchtlinge haben sich nach dem Vormarsch des Regimes auf den Weg an die türkische Grenze gemacht haben. Die Türkei - die nach offiziellen Angaben bereits 2,5 Millionen Syrer aufgenommen hat - hält ihre Grenze diesmal jedoch geschlossen und richtet stattdessen auf der syrischen Seite Flüchtlingslager ein.

Sicherheitszone mit Problemen
Das könnte der verzweifelte Versuch der Regierung in Ankara sein, doch noch eine von ihr seit langem geforderte Sicherheitszone auf der anderen Seite der Grenze zu schaffen. Das Problem: Sicher ist diese Zone nur, wenn sie verteidigt wird. Die NATO-Staaten aber schließen jeden Einsatz von Bodentruppen aus.

Auch für die Türkei ist eine militärische Intervention praktisch unmöglich, seitdem die türkische Luftwaffe im November einen russischen Kampfbomber im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen hat. Nach Angaben aus westlichen Sicherheitskreisen traut sich die Türkei aus Angst vor russischer Vergeltung seitdem nicht einmal mehr, eigene Kampfjets zu Angriffen gegen den "Islamischen Staat" (IS) nach Syrien zu schicken - von Bodentruppen ganz zu schweigen.

Sturz Assads unwahrscheinlich
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan muss nun ohnmächtig zusehen, wie seine Syrien-Politik kollabiert. Erdogans Ziel in Syrien war der Sturz Assads, der nun immer unwahrscheinlicher wird. Gleichzeitig - und das ist aus Erdogans Sicht nicht minder fatal - weiten die Kurden ihr Einflussgebiet an der türkischen Südgrenze immer weiter aus.

Das Sagen hat dort die kurdische Partei PYD - der syrische Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), gegen die Ankaras Armee derzeit in der Südosttürkei mit einer Offensive vorgeht. Aus Sicht der Türkei ist schizophren: Während die PKK auch in der EU und den USA auf der Terrorliste steht, sieht der Westen die PYD in Syrien als wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den IS an. Der US-Sondergesandte Brad McGurk machte ihr sogar vor knapp zwei Wochen in der Grenzstadt Kobane seine Aufwartung - zur Empörung Ankaras.

Sicherheitszone II
Nicht nur der Westen hofiert die PYD (Partei der Demokratischen Union), die zwar gegen den IS kämpft, mit dem Regime aber in einigen Gebieten auch kooperiert. Am Mittwoch wollte die kurdische Partei ihr erstes Büro in Europa eröffnen - ausgerechnet in Moskau. Was der Regierung in Ankara am Ende drohen könnte: Keine Sicherheitszone nach ihren Vorstellungen. Sondern eine Sicherheitszone für die PYD und damit auch für die PKK direkt an der türkischen Grenze - geschützt von der russischen Luftwaffe.
 

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