ÖSTERREICH-Interview

Richterin: "Er bereut nichts"

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Vibeke Hein Baera spricht über den 77-fachen Mörder und den Prozess des Jahres.

Es ist der Prozess des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts: Wenn die Richter Wenche Elizabeth Arntzen und Arne Lyng Montag früh das Verfahren gegen Massenmörder Anders Behring Breivik (33) eröffnen, wird die ganze Welt nach Oslo blicken. Ein blasser, austrainierter Wirrkopf steht vor Gericht. Sein Verbrechen stellt vieles in den Schatten, was je verhandelt wurde.

Breivik, Diplomatensohn und Einzelgänger, hält sich für einen „Kreuzritter“, der ohne einen Funken Reue mordete: „Ich musste es tun, es tut mir bloß leid, dass ich nicht noch mehr Menschen getötet habe.“

Darauf setzt seine Verteidigung auf. Der 33-Jährige werde aussagen, er habe in Notwehr gehandelt, sagte sein Verteidiger Geir Lippestad der Zeitung Dagbladet. Der Anwalt räumte ein, dass Breivik damit vor Gericht wohl kaum Erfolg haben werde.
Mit seinem Massaker wollte Breivik Norwegen und Westeuropa vor der „Islamisierung“ retten. Deshalb zündete er am 22. Juli 2011 zuerst eine Autobombe im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt: acht Todesopfer.

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Verkleidet als Polizist
Dann verkleidete er sich als Polizist, packte Waffen und Munition ein, fuhr auf die Urlaubsinsel Utoya. Dort hielten die norwegischen Jungsozialisten ihr Sommerlager ab, das wusste er.

Mit einem Sturmgewehr und einer Pistole machte er Jagd auf die Kinder. Er tötete wahllos, feuerte selbst auf jene, die verzweifelt um Gnade flehten. 69 starben auf der Insel, Hunderte wurden verletzt. Das jüngste Opfer, eine Schülerin, hatte fünf Tage vor ihrem Tod ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert.

Gesamt starben 77 Menschen: „Es kostet sehr viel Energie, mit Breivik über diese Tat zu sprechen“, sagt Anwältin Vibeke Hein Baera (47) zu ÖSTERREICH. Trotzdem verteidigt sie den Attentäter, besuchte ihn jede Woche im Hochsicherheitsgefängnis: „Er ist emotionslos, zeigt keine Reue“, sagt die Anwältin, selbst Mutter.

Vorwürfe gegen Anwälte
Ihr und ihren drei Anwaltskollegen wird vorgeworfen, aus „einer nationalen Tragödie ein Maximum an Publicity herauszuschlagen“. Baera kontert: „Jeder hat in einer ­demokratischen Gesellschaft das Recht auf Verteidigung.“ Eine zivilisierte Gesellschaft müsse einen Prozess wie diesen ertragen, egal, wie unerträglich es auch sein möge.

Breivik war zur Tatzeit voll zurechnungsfähig. Es gilt als sicher, dass er die Höchststrafe bekommt: 25 Jahre Zuchthaus, dann lebenslange Sicherheitsverwahrung. Dem Killer ist die Strafe egal. Er will seinen Wahn erklären. Das Gericht wird ihm das gestatten. Ein Härtetest. Für Angehörige. Für alle.

Anwältin: "Er fühlt sich unschuldig und bereut nichts!"

ÖSTERREICH: Am Nontag beginnt der Prozess gegen den 77-fachen Mörder Anders Breivik – was wird Ihr Mandant sagen?
Vibeke Hein Baera: Ich komme gerade aus dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem er einsitzt. Seit einem Jahr besuche ich ihn regelmäßig, meist einmal pro Woche. Zuerst war er in Isolationshaft, jetzt sitzt er in einer Hochsicherheitszelle. Wir haben die letzten Details des Prozesses durchgesprochen. Auch haben wir darüber geredet, dass er in einem zweiten Gutachten für voll zurechnungsfähig während der Tatzeit erklärt wurde, was ihn gefreut hat. Er fühlt sich völlig unschuldig, empfindet auch keine Reue für seine vielen Opfer und wird das auch im Prozess so sagen.

ÖSTERREICH: Keine Reue? Wird er bereits zum Prozess-Auftakt vor all den Angehörigen der Opfer seinen Tötungswahn erklären dürfen?
Hein Baera: Das hängt vom Gericht ab – es beginnt mit der Verlesung der Anklageschrift, das wird wohl einige Stunden dauern. Dann wird das Gericht ihn fragen, ob er sich schuldig fühlt oder nicht. Sollte es sich am Montag nicht mehr ausgehen, wird er am Dienstag erstmals selbst sprechen dürfen.

ÖSTERREICH: Wie fühlen sich Treffen mit einem Massenmörder an?
Hein Baera: Ich bin Strafverteidigerin und das ist nicht der erste Mörder, mit dem ich zu tun habe. Einerseits laufen die Gespräche mit Breivik sehr professionell ab, anderseits sind mir natürlich die unglaublichen Dimensionen dieses Verbrechens bewusst. Klar berührt mich das als Mutter emotional, niemand kann das völlig wegschieben, schließlich sind auch Strafverteidiger menschliche Wesen. Manchmal fiel es mir schon extrem schwer, die nötige psychische Distanz zu halten und konzentriert an den Fakten entlang zu arbeiten. Schließlich kennen wir alle seine Aussagen, seine genauen Beschreibungen, wissen die umfangreichen und grauenhaften Details aus den Ermittlungen der Polizei. Es kostet schon verdammt viel Energie, konzentriert und auf die Sache fixiert zu bleiben.

ÖSTERREICH: Wie ist er im Gespräch, wie muss man sich das vorstellen?
Hein Baera: Er ist völlig konzentriert, körperlich fit und absolut auf seinen Prozess fokussiert. Er formuliert scharf, gut und klar, kann sich wirklich exzellent ausdrücken, wirkt gebildet, ist schlagfertig, er ist ein Diplomatensohn. Er hat sich in den vergangenen Monaten sehr genau auf diesen Prozess vorbereitet und alle Akten mit geradezu technischer Detailbesessenheit durchgearbeitet. In keinem Punkt entwickelt er Gefühle für seine Opfer. Selbst über die schlimmsten Details der Ereignisse redet er emotionslos mit fast akademischer Genauigkeit. Das ist alles nur sehr schwer zu verstehen, aber es ist eben so.

ÖSTERREICH: Wie erklärt er das wahllose Hinrichten von 77 Menschen, die meisten davon Kinder?
Hein Baera: Seine Erklärungen über sein Motiv sind so umfangreich, von so weit hergeholt und komplex, dass es nicht ganz nachvollziehbar ist, auch für mich und meine Verteidigerkollegen nicht. Es ist ganz schwer zu verstehen, warum er das getan hat, was ihn letztendlich dazu getrieben hat. Wie schon gesagt: Er will vor Gericht erklären, weshalb er die Morde verübt hat. Selbst die schlimmsten Autopsie-Details berühren ihn nicht im Geringsten, zumindest wirkt er so.

ÖSTERREICH: Beim Prozess wird er den Angehörigen der Opfer gegenüber sitzen. Auch jene, die das fürchterliche Attentat verletzt überlebt haben, werden gegen ihn aussagen. Es tut ihm leid, dass er nicht noch mehr erwischt hat‘, soll er gesagt haben. Stimmt das?
Hein Baera: So hat er das gegenüber meinem Kollegen Geir Lippestad mehrmals formuliert, ja, das stimmt, so war das. Wir haben darüber gesprochen, dass er den Angehörigen der Opfer in die Augen schauen wird. Das aber berührt ihn in keiner Weise, das prallt förmlich von ihm ab. Er habe auch kein schlechtes Gewissen, sagt er immer wieder. Er musste das tun, was er gemacht hat, das hat er in seinem Hunderte Seiten starken Manifest auch erklärt. Es ist ihm bewusst, dass die vielen Morde grausam waren, das hat er schon registriert. Er aber bleibt dabei: Es war notwendig.

ÖSTERREICH: Sie sind selbst Mutter, haben Kinder. Wie erklären Sie Ihrer Familie, dass Sie so einen Mann verteidigen?
Hein Baera: Sowohl meine Kollegen als auch ich haben lange mit ihren Familien diskutiert. Letztlich haben wir uns dazu entschlossen, den Fall zu übernehmen. Wie ich schon sagte – der Prozess, die Gespräche mit Breivik, das Studium der Akten – das alles kostet sehr viel Kraft und Energie.

ÖSTERREICH: Welches Urteil würden Sie als Richterin sprechen?
Hein Baera: Das ist nicht meine Aufgabe, warten wir das Prozessende ab.

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