TV-Interview

2. Teil - "War einfach keine Menschen gewöhnt"

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Lesen Sie alles über die Gefangenschaft, die Flucht und wie Natascha seit vier Monaten ihr Leben organisiert.

Christoph Feuerstein: Sie haben im letzen Interview erzählt, dass sie sich manchmal ein bisschen bevormundet fühlen. Das war so noch in der Situation wo sie vorher gelebt haben, kurz nach der Flucht. Hat sich das gelöst? Fühlen sie sich freier?
Natascha Kampusch: Ja das musste ich mir, also ich habe ja am Anfang geglaubt ich bin frei, endgültig, am Tag meiner Flucht. Mir war natürlich vorher auch schon bewusst, dass ich dann umringt werde von lauter Menschen, die sich aus diversesten Gründen um mich bemühen, sei es weil sie meine Familie sind und mich lieben, sei es weil sie Profit aus der Sache schlagen wollen sei es weil sie glauben sich wichtig machen zu müssen.

Ich könnte auch einer jener Menschen sein, die aus Ihrer Geschichte Kapital schlagen wollen. Wie gehen Sie mit Menschen um, die Ihnen gegenüber sitzen und bei denen Sie nicht wissen, ob die an Ihnen interessiert sind oder ob eben nur am Erfolg durch Ihre Geschichte? Können sie das abschätzen? Wie gehen sie mit solchen Menschen um, oder mit dieser Situation?
Ja also bei manchen Menschen denke ich mir wirklich sie sind wirklich neugierig und geldgierig, aber ich weiß, ich weiß nicht woher ich das weiß, dass alles was sie an bösen Absichten haben wird auf sie zurück fallen.

Das ist ja wirklich interessant, sie waren 8 Jahre auf einen Menschen fixiert und auch abhängig. Jetzt sind sie mit einer Vielzahl von Menschen konfrontiert, wie fühlt sich das an?
Teilweise ist das wirklich aufdringlich für mich, ich mag die lauten Stimmen nicht, die Menschen haben unterschiedliche Körpergerüche, sie Rauchen, sie parfümieren sich, sie tragen irgendwelche auffälligen störenden Kleidungsstücke, sie haben unangenehme Essensangewohnheiten, sie sind unhöflich, unfreundlich undiszipliniert und so weiter, aber nein das macht überhaupt nichts, ich war immer ein sozialer Mensch und hatte von Anfang an keine Schwierigkeiten im sozialen Umgang.

Jeder Mensch ist es ja gewohnt im Umgang mit anderen Menschen und da gibt es eben Eigenheiten die einen stören. Sie haben ja auf diesem engen Raum gelebt. Wie war der Schock? Wenn sie da einen Vergleich ziehen, mit den Essgewohnheiten, mit Rauchen...
Das war ein irrsinniger Schock, es war ja auch jedes Mal wenn ich beispielsweise im letzen Jahr oder auch dieses Jahr mit ihm wieder in die normale Welt hinausgegangen bin, war das auch der irrsinniger Schock, ich war total verängstigt und habe mir überall verstecken wollen, weil ich einfach keine Menschen gewöhnt war und habe sie einfach nicht vertragen, ich war ganz verletzlich, sehr menschenscheu.

Gehen wir vielleicht wieder ins Heute: Es hat viele Zeitungsbereichte gegeben, wo ihnen Fragen nach ihrer Lieblingsspeise gestellt worden sind. Mir ist immer so ein bisschen vorgekommen, diese Interviews wirken wie ein Interview mit einem Superstar. Sind sie irgendwie glücklich mit der Rolle in die sie da gedrängt werden?
Naja, glücklich, nicht wirklich.

Wie fühlt sich das an, wenn man behandelt wird, als ob man ein Star wäre?
Ich werde nicht wie ein Star behandelt, von meinem Sozialarbeiter, die Leute die mach da betreuen, die behandeln mich wie einen normalen Menschen und ich versuche auch wie ein normaler Mensch auf die anderen zuzugehen und es gibt niemanden, der mich da anhimmelt.

Aber diese Fragen die ihnen da gestellt werden, nach so Kleinigkeiten, die man eigentlich nur aus Stargazetten kennt.
Ja das halte ich etwas für untergriffig übertrieben, ich halte es für eine übertriebene Neugierde die die Menschen an den Tag legen. Es gab fragen da stellen sich wirklich die Nackenhaare auf.

Durch die vielen Meldungen die es gegeben hat, hat man fast den Eindruck ihre Flucht ist schon ewig her. Es sind erst 4 Monate. Das ist alles sehr relativ, die zeitlichen Dimensionen verschwimmen.
Schon, das verschwimmt sehr stark, manchmal kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, dann auch wieder nicht.

Es war ja auch am Anfang sehr schwer mit der Emotionalität der Familie umzugehen.
Eigentlich ist es immer noch ein großes Problem mit einer gewissen Emotionalität der Menschen umzugehen, es gibt nicht gewisse Probleme, mit Leuten die etwas was sachlich gemeint war, zu persönlich nehmen. Das ist das Problem, aber ich versuche da jetzt etwas einfühlsamer zu sein oder ich versuche gewisse Situationen von vorneherein zu vermeiden.

Und sie waren es ja auch nie gewohnt. Hängt das zusammen?
Nicht unbedingt, es ist so, dass ich an Platzangst leide und die ersten Wochen in diesem Verlies waren für mich irrsinnig hart, weil ich ausgeflippt bin in diesem kleinen Kämmerchen. Das war furchtbar, aber ich habe mich mit der Zeit daran gewöhnt, weil ich mir ganz einfach die Weite vorgestellt habe.

Es ist viel leichter zu ertragen, eben in einer engen Umarmung, dass man sich entspannt, gut durchatmet und sich denkt, dass diese Umarmung irgendwann einmal aufhören wird, und so ähnlich war das auch in dem Verlies. Man muss ganz einfach in dem Raum, in dem engen Raum, muss man sich optimal entfalten lernen, man muss das nutzen was da ist und enge Gefühle abschütteln.

Wie haben die das geschafft? Wie haben sie diese Strategie entwickelt? Wie haben sie sich in dieser engen Kammer mehr Raum geschafft?
Ich habe mir dann die Leute, die Häuser rund herum vorgestellt, die ganze Erde, und ich habe gelernt mich in dem kleinen Raum optimal zu entfalten. Am Anfang war es natürlich irrsinnig störend für mich, dass da eine Tür war, bei der man nicht raus konnte, dass das nur ein einziger Raum war.

Aber ich bin dann einfach, wenn man das so rastermäßig sieht, es gibt ja einen Mikrokosmos und einen Makrokosmos, ich habe sozusagen mein eigenes Biotop gehabt.

Ich bin halt etwas, von den Maßstäben war dann alles etwas kleiner, mache Leute haben ein Wohnzimmer ein Esszimmer ein Schlafzimmer und was weiß ich alles, ich habe mir halt einen Wohnbereich einen Schlafbereich einen Essbereich einen Sanitärbereich gemacht und dann ja, sozusagen Zimmer Küche und Kabinett in einem.

Sie haben mir ja auch erzählt, dass sie eben in diesem Mikrokosmos auch nicht um Hilfe rufen wollten?
Es hilft mir niemand, er konnte mir nicht wirklich helfen wenn ich etwas hatte, bzw. hatte er auch nicht diese Empathiefähigkeit dazu. Er hatte einfach kein ordentlichen Mitgefühl gehabt was das betrifft. Wenn ich krank war. Ich habe immer zu ihm gesagt, er ist ein irrsinniger Ignorant, weil er hat mich immer ignoriert.

Wie hat er darauf reagiert?
Ja offenbar, er hat zwar die Wahrheit oft nicht vertagen, aber er war dann doch einsichtig, weil ich es ihm ruhig und sachlich vermitteln konnte.

Das war nicht als Beleidigung gemeint, sondern als Wahrheit und die musste er sich letztendlich eingestehen. Wenn ich gesagt habe er ist asozial, dann hat das auch gestimmt, weil er hatte kaum einen Freundeskreis oder soziale Kontakte, und alleine die Tatsache, dass er fähig ist ein 10 jähriges Mädchen auf dem Schulweg zu kidnappen und bei sich zuhause einzusperren spricht ja auch nicht dafür, dass er einen sozialen Sinn hat.

Weil sonst hätte er an meine Eltern gedacht und hätte das ganze von vorneherein nicht erwogen.

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