Die Europäische Zentralbank (EZB) geht in der schwersten Krise des Euro neue Wege und scheut auch den Tabubruch nicht. Wie die Währungshüter in der Nacht zum Montag in Frankfurt mitteilten, kaufen die 16 Notenbanken der Euro-Zone zum ersten Mal seit Einführung der Gemeinschaftswährung Staatsanleihen von Euro-Ländern.
Bereits Montagfrüh wurden erste Geschäfte abgewickelt. Zuvor hatten EU und IWF ein gigantisches, 750 Mrd. Euro schweres Rettungsnetz für den Euro gespannt. Über den Umfang der Interventionen, zu denen noch umfangreiche Stützungsmaßnahmen für Geldmarkt und Bankensystem kommen, werde der EZB-Rat noch entscheiden, sagte Notenbankchef Jean-Claude Trichet zu Mittag nach Gesprächen mit anderen ranghohen Zentralbankern bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel.
Die Notenbank gibt mit der Entscheidung ihren Widerstand gegen den Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Länder auf. Gemäß den Bestimmungen des EU-Vertrages kann sie nur am Sekundärmarkt kaufen und nicht direkt bei den Regierungen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die G-20-Finanzminister begrüßten die Kehrtwende der Frankfurter Währungshüter. Trichet bestätigte, dass nationale Notenbanken in Europa, darunter die Bundesbank, bereits in der früh mit dem Kauf von Staatstiteln am Sekundärmarkt begonnen hatten. Die Grundsatzentscheidung zum Ankauf der Staatstitel sei bei der EZB zuvor mit "überwältigender Mehrheit" getroffen worden.
Mit dem Ankauf von Staatstiteln finanziert die EZB de facto einen Teil der Schulden, unter denen Griechenland und auch andere Problemländer der Euro-Zone ächzen. Die Notenbanker machten klar, dass sie mit Gegengeschäften, die nicht näher spezifiziert wurden, dafür Sorge tragen wollen, dass sich durch das beschlossene Ankaufprogramm nichts am zinspolitischen Kurs ändert. Trichet sagte in Basel, eine Möglichkeit sei die Hereinnahme von Termineinlagen der Geschäftsbanken. Auf diese Weise könne schnell und effektiv Liquidität wieder abgeschöpft werden.
Die EZB hat sich lange gegen einen Eingriff dieser Art gewehrt, da er in vielen Euro-Ländern und vor allem in Deutschland wegen der daraus resultierenden Inflationsrisiken höchst umstritten ist. Am Finanzmarkt war in den vergangenen Tagen massiv auf einen solchen Schritt der EZB spekuliert worden. Am Dienstag berappelte sich die zuletzt angeschlagene Gemeinschaftswährung wieder. Zwischenzeitlich stieg der Kurs des Euro am Devisenmarkt wegen der Hilfen von EU, IWF und EZB wieder über die Marke von 1,30 Dollar.
Die EZB stützt darüber hinaus den zuletzt wieder mit großen Problemen kämpfenden Geldmarkt und das Bankensystem in der Euro-Zone. Schon in den nächsten Tagen will sie ein sechs Monate lang laufendes und an den künftigen Leitzins gekoppeltes Repo-Geschäft wieder einführen. Zudem sollen Dreimonatstender für genügend Liquidität am Interbankenmarkt sorgen und ein Austrocknen der Finanzströme zwischen den Banken verhindern.
Die EZB geht damit in ihrem Ausstieg aus dem Maßnahmen gegen die Finanzkrise wieder einen Schritt zurück. Sie hatte damals zahlreiche Geldmarktoperationen mit bis zu einem Jahr Laufzeit eingeführt, um den Geldmarkt zu stützen. Einige dieser sogenannten Tender wurden in jüngster Zeit bereits nicht mehr aufgelegt.
Um die Versorgung des europäischen Bankensystems mit Fremdwährungen sicherzustellen, lassen die EZB und andere Notenbanken zusätzlich mehrere sogenannte Swaplines wieder aufleben. Dabei handelt es sich um Fremdwährungsgeschäfte unter den Zentralbanken, die sicherstellen sollen, dass zum Beispiel die Banken in der Euro-Zone leicht an Dollar kommen. Hier hatte es zuletzt ebenfalls Probleme gegeben. An der konzertierten Aktion sind neben der EZB die Federal Reserve in Washington, die Bank of England sowie die Notenbanken der Schweiz und Kanadas beteiligt. Auch die japanische Zentralbank ist mit im Boot.