In der Causa um die ehemalige Meinl European Land (MEL, heute Atrium Real Estate) schießen sich Anlegeranwälte weiter auf die Republik Österreich und die Oesterreichische Kontrollbank (OeKB) ein. Die Rechtsvertreter Michael Poduschka und Eric Breiteneder werfen der Finanzmarktaufsicht (FMA) vor, die Kapitalmarktprospekte der MEL nicht geprüft und "keinerlei schadensverhindernde Maßnahmen" ergriffen zu haben. Bei der OeKB orten sie eine "schuldhafte Verletzung von gesetzlichen und vertraglichen Pflichten".
Die OeKB hätte als Alleinaktionärin der MEL die umstrittenen Zertifikatsrückkäufe im Sommer 2007 verhindern müssen. Die Anwälte sehen die Republik bzw. die Kontrollbank in der Haftung. In rund jeweils rund 800 Schreiben haben sie von den Institutionen einen Verjährungsverzicht verlangt, von der Republik bisher aber keine Antwort bekommen. Es droht eine Flut von Schadenersatzklagen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
In einem Brief an die Finanzprokuratur laden Poduschka und Breiteneder die Republik zur Abgabe eines Verjährungsverzichts ein und fordern für einen Anleger 432.412 Euro Schadenersatz. Das Schreiben ist mit 30.9. datiert, die einmonatige Antwortfrist, die der Anwalt gesetzt hat, ist längst abgelaufen. Die OeKB hat die Rechtsvertreter für diese Woche zu einer Aussprache eingeladen.
In den Augen der Anwälte hätte die FMA die MEL-Prospekte inhaltlich prüfen müssen - ein altbekannter Vorwurf. Die Behörde hatte stets betont, lediglich für die Vollständigkeit verantwortlich zu sein. Auch gegen die "rechtswidrige" bzw. "irreführende" Werbung habe die FMA nichts unternommen. Spätestens ab November 2006 hätte die Meinl Bank und ihre Vertriebstochter Meinl Success die MEL-Papiere als "mündelsicher" beworben, obwohl im Kapitalmarktprospekt zur Kapitalerhöhung im Oktober 2006 auf das hohe Risiko der Zertifikate hingewiesen worden sei.
Der Schaden ihrer Mandantschaft sei dadurch entstanden, dass die FMA auf die Rückkäufe der Papiere "durch die Meinl Bank AG offenbar im 'Auftrag' der MEL ... von zumindest Mai bis August 2007 nicht reagierte und keine Maßnahmen setzte, um diese zu unterbinden", heißt es in dem Schreiben. In diesem Zeitraum seien schon über 30 % der Zertifikate rückgekauft worden, die MEL habe die Anleger über das Rückkaufprogramm aber erst Ende Juli 2007 informiert. Die FMA hätte hier einschreiten müssen, so die Anwälte. Die Behörde habe zudem die "zahlreichen Doppelfunktionen und Funktionsüberschneidungen" bei MEL, Meinl Bank und Meinl Success ignoriert. Aufgrund dieser Versäumnisse der FMA "hat die Republik ein rechtswidriges, kausales und schuldhaftes Verhalten zu verantworten", lautet der Vorwurf.
"Ordinary shares" möglicherweise nie existent
Auch von der OeKB verlangen die Juristen Schadenersatz. Sie argumentieren, dass die OeKB de facto Alleinaktionärin der MEL gewesen sei. Was Anleger als MEL-"Aktien" gekauft hätten, seien in Wahrheit ideelle Anteile eines Zertifikats der OeKB, das die "ordinary shares" (ähnlich Namensaktien, Anm.) einer Jersey-Gesellschaft repräsentiere. Nach den Kapitalmarktprospekten von 2002 bis 2006 hätten österreichische Anleger jeweils nur "ideelle Anteile" an diesem von der OeKB begebenen Globalzertifikat erworben, so Eric Breiteneder. Im Prospekt vom Jänner 2007 habe es hingegen geheißen, dass die OeKB Treuhänderin für den Erwerb von MEL-Papieren sei. Breiteneder sieht hierin einen "erfolglosen Sanierungsversuch". Ein Treuhandvertrag hätte von den Anlegern beauftragt werden müssen, was aber nicht geschehen sei. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Laut Breiteneder und Michael Poduschka hätte die Kontrollbank den Anlegern eine Vollmacht ausstellen müssen, damit diese ihr Stimmrecht bei der MEL wahrnehmen hätten können. Erst für die Hauptversammlung am 16. Juli 2008 habe ihr Mandant "plötzlich" eine solche Vollmacht bekommen. Bis dahin habe an den Hauptversammlungen der ehemaligen Meinl-Gesellschaften MEL, MAI und MIP weder die OeKB noch von dieser Bevollmächtigte teilgenommen, was vor allem angesichts der MEL-Kapitalerhöhungen "beachtlich" sei. Für Breiteneder und Poduschka sind daher "sämtliche vor dem 16. Juli 2008 getroffenen HV-Beschlüsse der MEL ... nichtig, die dabei emittierten ordinary shares wurden daher möglicherweise nie existent." Es stelle sich die Frage, was die Anleger tatsächlich gekauft hätten. "Aktien waren es jedenfalls nicht", so Breiteneder.
Kontrollbank hätte HVs verhindern müssen
Die OeKB hätte Breiteneder und Poduschka zufolge verhindern müssen, dass die Hauptversammlungen stattgefunden haben, ohne dass die Anleger ihre Stimmrechte ausüben konnten. Die Zertifikatsrückkäufe hätte sie unterbinden oder zumindest "unverzüglich publik machen" müssen. Sowohl aus dem Vertrag der OeKB mit der MEL und der Meinl Bank als auch aus dem Wertpapieraufsichtsgesetz (WAG) ergebe sich gegenüber den Anlegern eine "Fürsorgepflicht". Schließlich sei der heimische Wertpapiermarkt "alleine" durch das Handeln der OeKB für Investments in MEL/MAI/MIP geöffnet worden.
Nach Ansicht der Advokaten hat es die Kontrollbank aber verabsäumt, die Geschäfte der Meinl-Gesellschaften zu überprüfen. Auch ihren Informationspflichten sei sie nicht nachgekommen. Insbesondere hätte sie die Anleger darüber in Kenntnis setzen sollen, dass sie keine Aktien, sondern ideelle Anteile an Zertifikaten erwerben und dass sie ohne Vollmacht nicht an den HVs teilnehmen dürfen. Außerdem hätte die Bank erkennen müssen, dass die Anleger durch den in der Werbung fälschlicherweise verwendeten Begriff "Aktien" in die Irre geführt werden könnten, heißt es.
Ähnliches hatte der Prozessfinanzierer Advofin in einer Klage gegen die Meinl Bank und die OeKB vorgebracht. Laut Anwalt Ulrich Salburg hätte sich die OeKB fragen müssen, wie es bei der MEL ohne ihr Mitwirken als Alleinaktionärin zu den auf den HVs beschlossenen Kapitalerhöhungen kommen konnte. Die Kontrollbank habe dadurch ihre Verpflichtung als Treuhänderin verletzt, so Salburg. Der nächste Verhandlungstermin in der Causa findet am 26.11. statt.
Verjährungsverzicht gefordert
Sowohl Breiteneder als auch Poduschka finden es "unverständlich", dass (halb)staatliche und somit vom Steuerzahler finanzierte Institutionen offenbar nicht zu einem Verjährungsverzicht bereit seien. Würden OeKB oder Republik einen solchen abgeben, könnten die Anwälte ein paar Musterklagen abwarten, bevor sie für jeden einzelnen mutmaßlich Geschädigten vor Gericht ziehen. Den Anlegern blieben damit Kosten erspart. Falls kein Verjährungsverzicht abgegeben wird, wollen die Anwälte für alle rund 800 - rechtsschutzversicherte - Anleger Klagen einbringen.
Bei früheren Monster-Verfahren wie AMIS seien Verjährungsverzichte üblich gewesen, so Poduschka. Nun aber sei ein Trend in die Gegenrichtung auszumachen. Weder die Constantia Privatbank (CPB) noch die Meinl Bank oder der angeschlagene Finanzdienstleister AWD hätten im Zusammenhang mit Anlegerklagen die Verjährung ruhen lassen. Poduschka fürchtet die langsame Aushöhlung der heimischen Justiz. Das Handelsgericht (HG) Wien, das als eines der effizientesten gelte, sei nicht mehr imstande, die meterhohen Aktenberge abzuarbeiten. Die Mehreinnahmen bei den Gerichtsgebühren, die die Klagsfluten dem HG bescheren, kämen aber nicht dem Gericht zugute, kritisierte der Rechtsvertreter. "Was passiert mit dem Geld?"