Die Wiener Börse, die Industrie und die Arbeiterkammer streiten um Sinn und Unsinn der Finanztransaktionssteuer. Sie sind so unterschiedlicher Meinung wie die Koalition.
Die Wiener Börse wehrt sich vehement gegen die Wiedereinführung einer Börsenumsatzsteuer. Eine solche Steuer käme einer "Steueraufkommensvernichtungssteuer" gleich und hätte einen massiven volkswirtschaftlichen Schaden. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Wiener Börse in Auftrag gegebene Studie über mögliche Auswirkungen einer Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer in Österreich, präsentiert von den Vorständen der Wiener Börse, Michael Buhl und Heinrich Schaller, und Studienautor Christian Helmenstein. Trotz der Kritik der Börse hält das Kanzleramt an dem Vorschlag fest, in Österreich für das Budget 2011 als ersten Schritt eine Börsenumsatzsteuer umzusetzen, wenn sich vorher nicht eine internationale Lösung - europaweit oder innerhalb der Eurozone - ergibt.
"Diametral gegen Kapitalfreiheit"
Laut Helmenstein, Vorstand des Economica Institut für Wirtschaftsforschung und Chefökonom der Industriellenvereinigung, würde eine Börsenumsatzsteuer zudem "in diametralem Gegensatz zur europäischen Kapitalfreiheit stehen", das "europäische Integrationsprojekt" rückgängig machen und zu einer Fragmentierung des europäischen Kapitalmarktes führen.
"Gegen Unternehmensfinanzierung"
"Die Börsenumsatzsteuer streut keinen Sand ins Getriebe der Spekulanten, sondern in den Motor der Unternehmensfinanzierung", resümierte Helmenstein seine Studie. Bei einer solchen Steuer handle es sich um ein "fiskalisches Negativszenario", das unter dem Strich sogar einen Nettoverlust bedeute: So würde etwa im guten Börsejahr 2008 mit Umsätzen von 60,35 Mrd. Euro eine Börsenumsatzsteuer von 0,15 % ein Steueraufkommen von 91 Mio. Euro generieren. Die Steuer- und Abgabenausfälle aufgrund der zu erwartenden sinkenden Beschäftigung bzw. des geringeren BIP-Wachstums in Folge gesunkener Börseumsätze lägen demnach aber höher bei 96 Mio. Euro, rechnete Helmenstein vor.
Verlust von Arbeitsplätzen
Tatsache sei, dass eine Börsenumsatzsteuer zu geringerer Liquidität an der Wiener Börse führen würde, was wiederum einher gehe mit niedrigeren Bewertungen und in der Folge mit höheren Kapitalkosten, so der Experte. An diesem Punkt springe der Schaden einer Börsensteuer von der Finanzwirtschaft über auf die Realwirtschaft, weil durch die höheren Kosten die Unternehmen weniger investierten, was zu einem Einkommensminus und einem Beschäftigungsverlust führte, beschreibt Helmenstein die negativen Auswirkungen einer Börsenumsatzsteuer auf den Kapitalmarkt und die Konjunktur.
Börse sieht Supergau
Bei der Wiener Börse geht man sogar noch einen Schritt weiter. Laut Schaller kann man nämlich davon ausgehen, dass nicht nur 15 % des Börsenumsatzes abfließen würden, sondern sogar 64 % gefährdet seien. Denn zwei Drittel des Handels in Wien werden von ausländischen Banken oder Investmenthäusern getätigt. Wenn sich der Handel durch eine solche Steuer verteuere, sei es ein Leichtes, diese Umsätze aus Wien abzuziehen. Durch die geringere Liquidität sei zudem eine extreme Volatilität zu erwarten. Auch die Möglichkeit von Börsegängen wäre eingeschränkt und die Eigenkapitalquote der österreichischen Unternehmen könne dann nicht mehr so leicht gestärkt werden.
"Steuervermeidungskonstruktionen"
Gegen die Börsensteuer spreche auch die damit geringere Transparenz, weil sich der Handel zum Großteil auf außerbörsliche Plattformen verlagern würde. Ziel sollte es eigentlich sein, diesen Handel an die Börsen zu bekommen, betonte Schaller. Eine solche Steuer hätten den gegenteiligen Effekt und wäre Nährboden für "Steuervermeidungskonstruktionen" in Form neuer Produkte.
Eine neue Börsenumsatzsteuer würde auch institutionelle Investoren abschrecken. Derzeit haben Versicherungen, Banken oder Fonds knapp 40 Mrd. Dollar in ATX-Unternehmen investiert, 84 Prozent davon sind internationale Investoren. "Und auf dieses Geld wollen wir nicht verzichten", betonte Schaller.
"Die Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer fügt dem österreichischen Kapitalmarkt und der Wiener Börse unverhältnismäßigen Schaden zu", so Schaller. Wenn es zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer komme, dann nur - zumindest - EU-weit und für alle Finanztransaktionen, nicht nur für Wertpapiere. Zudem sollte sie nur auf außerbörsliche Geschäfte eingehoben werden und "ganz, ganz klein" sein.
"Zurück in die Steinzeit"
Ein nationaler Alleingang bei der Börsenumsatzsteuer würde die Wiener Börse jedenfalls "fast in die Steinzeit" zurückwerfen. Daher sei man auch bereit, alle Mittel, auch rechtliche, dagegen zu ergreifen. Auch in den meisten großen EU-Ländern seien in den vergangenen Jahren derartige Transaktionssteuern abgeschafft worden. Nur noch sechs Länder - drei davon, auch Großbritannien, mit großen Ausnahmen - würden eine Finanztransaktionssteuer einheben.
IV sieht Nachteil für Firmen
Neben der Wiener Börse spricht sich auch die Industriellenvereinigung gegen eine Börsenumsatzsteuer auf Aktien-und/oder Anleihen aus. "Eine solche Steuer wirkt sich speziell bei einem kleinen Markt wie Österreich für Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt negativ aus", so der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Markus Beyrerg. Die Steuer sei mit gutem Grund vor wenigen Jahren abgeschafft worden.
Für die große Mehrheit der österreichischen Unternehmen, die wegen eines geringeren internationalen Bekanntheitsgrades auf die Wiener Börse angewiesen seien, würde dies einen gravierenden Nachteil bei der Unternehmensfinanzierung, der Wettbewerbsfähigkeit und damit letztlich eine Gefährdung von Arbeitsplätzen bedeuten, schlägt Beyrer in die gleiche Kerbe wie die Börse selbst. Andererseits würde die verstärkte Nutzung multilateraler Handelssysteme dazu führen, dass der Handel über weniger transparente und regulierungsschwächere Vehikel zuungunsten des (Klein-)Anlegerschutzes gefördert würde.
AK hat nichts gegen Alleingang
Die Arbeiterkammer hält einen Alleingang bei der Finanztransaktionssteuer dagegen für möglich. "Natürlich wäre eine welt- oder europaweite Einführung der Transaktionssteuer wünschenswert, es ist aber auch eine Einführung in Österreich sinnvoll", findet Maria Kubitschek, die Leiterin des AK-Bereichs Wirtschaft. Immerhin gebe es bereits in sieben Ländern Europas ähnliche Abgaben. Zudem würde eine solche Abgabe den Durchschnittsbürger kaum belasten.
"Die Finanzspekulanten haben die Krise mitversursacht, jetzt sollen sie auch einen gerechten Beitrag zur Kostenbewältigung leisten", sagte Kubitschek. Bei der angedachten Größenordnung von 0,5 Promille des Umsatzes würden übrigens bei Aktienkäufen um 10.000 Euro gerade einmal fünf Euro Steuer fällig. Die im Jahr 2000 abgeschaffte Börsenumsatzsteuer sei höher gewesen.
Österreichs Regierung ist in dieser Frage gespalten. Während SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann notfalls die Steuer auch im nationalen Alleingang einführen will, hält ÖVP-Finanzminister Josef Pröll eine solche Steuer nur im europäischen Einklang für sinnvoll.