Irakischer Staatsjournalismus: Marx und Autobomben

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Hinter Stacheldrahtrollen und hohen Betonwänden versteckt sich die Redaktion der Tageszeitung "Al-Sabah". Kein Schild weist Besuchern den Weg zu den mit braunen Teppichen ausgelegten Büros der Zeitung. Die Wände sind vergilbt vom Rauch Tausender Zigaretten, die nervöse Redakteure hier in schweren Glasaschenbechern ausgedrückt haben.

"Al-Sabah" ist das Sprachrohr der irakischen Regierung. 2006 explodierten vor dem Redaktionsgebäude im Abstand von drei Monaten zwei Autobomben. Insgesamt starben seit Gründung der Zeitung durch Anschläge und Attentate drei Journalisten und zwölf Drucker. Ein Chefredakteur war nicht unter den Getöteten. Trotzdem wird der Posten ständig neu besetzt.

Der derzeitige Chef, Abdulasahra Zaki, hat sein Büro erst vor seit drei Monaten bezogen. Er ist bereits der fünfte Chef des Blattes, das im Mai 2003, gut einen Monat nach dem Einmarsch der US-Armee in Bagdad, von den Amerikanern gegründet worden war.
Die Amerikaner ließen ein 4 Seiten starkes Mitteilungsblatt produzieren, um mit der Bevölkerung des von ihnen besetzten Landes zu kommunizieren. Die Arbeit mit den Besatzern war einfacher als heute, wo sich empfindliche Regierungsmitglieder über unliebsame Berichte beschweren. Passt ihnen ein Kommentar nicht, wird der Sechs-Monats-Vertrag des "Sabah"-Journalisten, der ihn verfasst hat, nicht verlängert.

Trotzdem haben die Reporter des Regierungsorgans schon einige Skandale aufgedeckt. Ende 2008 veröffentlichte "Al-Sabah" einen Artikel über einen Bankraub in Bagdad, bei dem acht Wächter getötet wurden. Das Geld, das bei dem Überfall erbeutet worden war, sollte von den Anhängern eines führenden Schiiten-Politikers zum Kauf von 800.000 Bettdecken benutzt werden, mit denen sie angeblich vor den Provinzwahlen potenzielle Wähler bestechen wollte. Der Politiker beteuerte, er habe von dem Überfall nichts gewusst. Ein Teil des Geldes wurde später zurückgebracht.

Freiheit hat ihren Preis

"Es ist schwer, im Irak gute Journalisten zu finden, weil es unter dem alten System der Einheitspartei keine freie Presse und keine richtige Ausbildung gab", klagt Chefredakteur Zaki, der während der Ära von Baath-Diktator Saddam Hussein als Kulturredakteur bei einer staatlichen Zeitung beschäftigt war. Auch Shasa al-Janabi, die in der "Demokratie"-Redaktion des Blattes sitzt und seit Wochen ausschließlich über die bevorstehenden Parlamentswahlen schreibt, arbeitete früher für Saddams baathistische Staatsmedien.

"Heute ist der Zugang zu den Verantwortlichen leichter, und wir Journalisten haben viel mehr Freiheit", schwärmt sie. Doch die Freiheit hat ihren Preis. Zweimal habe man versucht, sie auf der Straße zu erschießen, sagt Janabi. Vor drei Jahren, in der schlimmsten Phase, schickte sie ihre Familie ins Ausland und bezog ein Zimmer auf dem Gelände der Redaktion. Inzwischen wohnt sie wieder in ihrem alten Haus. Sie ist stolz auf ihren Beruf und spricht gerne darüber. Einige ihrer Kollegen erzählen jedoch aus Angst daheim im Viertel nicht, dass sie für die Regierungszeitung arbeiten.

"In meiner Nachbarschaft denken die Leute, ich sei Lehrer", sagt einer der Lokalreporter. Auf dem Weg zu seinem Schreibtisch kommt er morgens an einer Wand mit Schwarz-Weiß-Fotos vorbei. Karl Marx hängt hier neben dem lateinamerikanischen Revolutionär Che Guevara, dem früheren haschemitischen König des Irak, Ghazi (1933-39), Kurden-Führern und dem von Extremisten ermordeten irakischen Schiiten-Politiker Ezzedin Salim.

Nur für Ex-Diktator Saddam Hussein, dessen Bild im Irak früher allgegenwärtig war, ist bei "Al-Sabah" kein Platz. Dabei residierte in den Räumen der Regierungszeitung einst die Redaktion der Zeitung "Babil". Ihr Chefredakteur musste damals keine Angst haben, dass sein Vertrag nicht verlängert würde. Sein Name war Udai Saddam Hussein. Der für seine Gewalttätigkeit bekannte Sohn des Diktators starb 2003 in der nordirakischen Stadt Mossul nach einem mehrstündigen Gefecht mit US-Soldaten.

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