Um die 50 Traktoren sind im Rahmen der Protestaktion der IG-Milch gegen die niedrigen Milchpreise als Begleitaktion zum angelaufenen Lieferstreik am 14. September am Linzer Hauptplatz aufgefahren. Dabei wurde Milch an die Passanten verschenkt. Zwischenfälle gab es keine.
Die Bauern waren mit ihren Zugmaschinen und zum Teil mit Anhängern aus der Umgebung in die Landeshauptstadt gefahren. Das sorgte im Früh-Verkehr für Behinderungen. Auf den Traktoren waren Schilder angebracht, die um Verständnis ersuchten. Am Hauptplatz wurden die Landwirte bereits von der Polizei erwartet. Die Beamten wiesen sie auf bereits reservierte Plätze unter anderem vor der Dreifaltigkeitssäule ein.
Auf Transparenten auf den Anhängern stand unter anderem "Es reicht", "Lebensmittel zum Spottpreis", "Unsere Forderung: Kostendeckender Milchpreis" und "Wir sind keine Knechte der Agrarpolitik". Zu den Bauern gesellte sich der frühere FPÖ-Landtagsabgeordnete und nunmehr für das BZÖ kandidierende Herbert Aspöck.
Aus mitgebrachten Milchbehältern wurde an die wegen des Regenwetters wenigen Passanten frische Milch vom Hof verschenkt. Sie konnten sie aus Plastikbechern gleich trinken. Sie erhielten aber auch das Angebot, sie könnten die Milch mitnehmen, wenn sie ein Gefäß dafür bringen. Die Organisatoren der Protestaktion planten, anschließend zur Landwirtschaftskammer und zu Agrarlandesrat Josef Stockinger (V) im Landhaus zu fahren.
Stockinger warnt vor Lieferboykott
Stockinger warnte in einer Stellungnahme davor, dass sich ein neuerlicher Lieferboykott als Bumerang für die Milchbauern erweisen könnte, weil holländische und norddeutsche Molkereien die Chance nutzen und noch mehr ihrer Produkte in österreichischen Regalen platzieren würden. Anstatt dass die Bauern ihr Einkommen wegschütten, müsse sich der gesamte politische Druck auf die neue EU-Kommission konzentrieren, so der Landesrat.
Der Landesobmann des ÖVP-Bauernbundes und Präsident der Landwirtschaftskammer Oberösterreich, Hannes Herndl, erklärte in einer Presseaussendung, als Milchbauer verstehe er die Sorgen und Nöte in den Betrieben. Die Preise seien extrem schlecht. Unüberlegte Maßnahmen lehne er jedoch ab.
Der Landesvorstand des Bauernbundes, dem Vertreter aller Bezirke angehören, habe sich in einer Sondersitzung in einem einstimmigen Beschluss gegen einen Milchlieferboykott zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Auch er befürchtet Schleuderimporte aus Norddeutschland, Frankreich und den Niederlanden. Dadurch gerate der Preis für heimische Milch noch mehr unter Druck, warnte Herndl. Der Bauernbund fordere hingegen unter anderem ein Umdenken der Europäischen Kommission und finanzielle Mittel für die Bauern.
Der Vorsitzende der SPÖ-Bauern, Franz Hochegger, stellte fest, der Lieferstreik der Milchbauern sei ein wichtiges Alarmsignal. Er forderte die heimische Agrarpolitik zum Handeln auf, unter anderem eine Verdoppelung von Milchkuhprämie und Milchzuschuss sowie keine Mehrbelastung beim Einheitswert. Es sei richtig, dass die EU handeln müsse, aber erste Schritte müssten sehr wohl national in Österreich gesetzt werden.
Rebellen bekommen Unterstützung von der Opposition
Während sich die Regierungsparteien gegenüber dem Milchstreik und den Protestmaßnahmen zurückhaltend bis ablehnend verhielten, gab es seitens der Opposition Unterstützung und Solidaritätsbekundungen, zum Teil auch durch die Anwesenheit bei der Blockade auf der A9-Pyhrnautobahn. Der Hilferuf der verzweifelten Bauern sei verständlich, der Preisverfall unerträglich, so der Tenor.
BZÖ-Agrarsprecher Wolfgang Spadiut sprach von der "pervertierten Ernährungspolitik", an der die EU die Schuld trage. Harte Bandagen gab es für den Bauernbund: Fritz Grillitsch und Kammerpräsident Gerhard Wlodkowski mutierten immer mehr "zu Verrätern und Totengräbern der Landwirte". Die von Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich (V) angekündigte vorzeitige Förderungsauszahlung sei "Augenauswischerei", da sich der Zeitraum bis zur nächsten Unterstützung entsprechend verlängere. Spadiut verband die Kritik an der Volkspartei ("Gerade die ÖVP kriecht ja lieber vor der EU, als mit Stolz Österreich zu vertreten") mit der Forderung, die Agraragenden inklusive Subventionen künftig wieder stärker national zu organisieren.
Ebenfalls gegen die EU zielte die Kritik der KPÖ: Der steirische Landesvorsitzender Franz Stephan Parteder ortete in einer Aussendung die Gründe für die niedrigen Milchpreise in der an Konzernen orientierten EU-Agrarpolitik: "Anstatt sich nach der Nachfrage zu richten, werden die Betriebe auf einen spekulativen und ruinösen Weltmarkt ohne soziale und ökologische Verantwortung ausgerichtet".
Auch die Grünen solidarisierten sich mit den Milchbauern. "Es ist unfassbar, dass sie in ihrem Existenzkampf weder Bauernbundchef Grillitsch noch Landwirtschaftskammerpräsidenten Wlodkowsky auf ihrer Seite haben", kritisierte der Landwirtschaftssprecher der Grünen, Wolfgang Pirklhuber. Weder die Vorschläge von Grillitsch noch jene von Wlodkowsky seien geeignet, die prekäre Situation der Milchbetriebe zu beenden. Das Problem sei eine forcierte Überschusspolitik, die zu einem totalen Preisverfall führe. Pirklhuber forderte Agrarminister Niki Berlakovich auf, die Vertreter der IG-Milch "endlich ernst zu nehmen" und alle Beteiligten zu einem Milchgipfel einzuladen. Als Sofortmaßnahme ist in Österreich das System der Saldierung und somit die Belohnung der Überschussproduktion abzuschaffen.
Als "unerträglich" qualifizierten die Grünen den Preisverfall bei vielen Agrarprodukten, besonders bei Milch. "Vielfach reicht der Preis nicht mehr aus, um die Existenz zu sichern", so der Agrarsprecher der steirischen Grünen, Lambert Schönleitner. Die heimische Politik müsse endlich handeln. "Wir brauchen sofort eine europaweite Verringerung der Milcherzeugung oder zumindest ein Stoppen der geplanten Erhöhung der Milchmenge und ein Verbot von Analogkäse", sagte Schönleitner, der auch die Konsumenten aufrief, durch den Boykott von Billigst-Milchprodukten für Qualität und faire Preise zu sorgen.
Bauernmilchpreis seit 2008 um 30 % gesunken
Der Erzeugermilchpreis ist in Österreich innerhalb von eineinhalb Jahren um mehr als ein Drittel von 42,5 Cent je Kilogramm Anfang 2008 auf mittlerweile 25,6 Cent je Kilogramm in den Keller gerutscht. In Deutschland liegt der durchschnittliche Bauernmilchpreis derzeit nur noch bei 22 Cent/kg. Das hat zu dramatischen Einkommenseinbußen für die Landwirte geführt. Viele Bauern sehen sich in ihrer Existenz bedroht.
Dass es für die Milchbauern schon die letzten Jahre nicht leicht gewesen ist, zeigt auch die Statistik. Gab es zum EU-Beitritt noch 81.902 Milchlieferanten, so ist die Zahl unterdessen auf 39.287 (per Ende 2008) gesunken. Die Zahl der Milchkühe hat sich in diesem Zeitraum von 804.264 auf 530.230 reduziert.
Die Wirtschaftskrise hat die Milchbauern so stark und schnell getroffen wie keinen anderen Betriebszweig in der Landwirtschaft. Märkte sind weggebrochen, die Konsumenten haben weniger eingekauft und wegen der hohen Preise vor zwei Jahren hat die Lebensmittelwirtschaft in vielen Rezepturen Produkte wie Milchfett durch billigere Stoffe ersetzt - Stichwort Analogkäse.
Die heimischen Molkereien wollen eventuelle Blockaden durch Milchbauern nicht ungestraft dulden. Sollte durch Blockaden Schaden entstehen, werde man klagen, sagte der Chef der österreichischen Milchverarbeiter (VÖM), Johann Költringer, zur APA. Es würden alle Bauern geschädigt, wenn eine Molkerei nicht produzieren könne.
Mit dem Streik wollen die Milchbauern durchsetzen, dass die Bauern ähnlich wie die Ölförderländer der OPEC die Milchproduktion selbst dem Bedarf anpassen und so die Preise steuern können. Laut IG Milch wäre zum Überleben hierzulande ein Milchpreis von zumindest 40 Cent notwendig. In der EU wird die Produktion durch die Milchquote derzeit noch künstlich begrenzt. Bis 2015 soll diese erlaubte Obergrenze für die Milchproduktion aber schrittweise auslaufen.
Trotz des massiven Milchpreisverfalls hat die EU-Kommission im Sinne einer weiteren Liberalisierung des Milchmarktes die Forderung nach zusätzlichen Subventionen für die Bauern vergangene Woche ebenso abgelehnt wie ein Einfrieren der Milchquote, die im kommenden Jahr um ein Prozent erhöht werden soll. Sie lehnte eine Resolution von 16 der 27 Staaten, die Sofortmaßnahmen gegen die Milchkrise verlangten, und eine von sechs Staaten, darunter auch Österreich, die überhaupt ein europaweites Aussetzen der für April 2010 angekündigten Erhöhung forderte, ab.
Die IG Milch plant auch in den nächsten Tagen "klein- und großräumige" Proteste. "Wir sind aber eine Guerilla-Organisation. Unsere Zellen agieren autonom", sagte ein IG-Sprecher auf APA-Anfrage zu den weiteren Plänen. Natürlich hängen die weiteren Aktionen auch von möglichen Reaktionen der Politik ab, hieß es.