Für die Erste ist der gegenwärtige Ölpreis von etwa 80 Dollar pro Barrel der Konjunkturentwicklung davongelaufen, nach weiteren Verteuerungen in den nächsten Monaten sollte sich das "schwarze Gold" bis Ende 2010 wieder deutlich auf 60 Dollar verbilligen. Mittelfristig - bis 2012 - halten die Experten aber wieder Preise über 100 Dollar pro Barrel für möglich.
Hauptautor der Analyse ist Rohstoffanalyst Ronald Stöferle, der Ende 2008 belächelt worden war, als er bei 800 Dollar pro Unze einen baldigen 50-prozentigen Anstieg des Goldpreises voraussagte. Er traf mit dieser Prognose mit etwas Verzögerung ins Schwarze.
Auch Stöferles Vorhersage stark steigender Ölpreise im Februar 2009 hatte sich als richtig erwiesen: "Auf dem damaligen (niedrigen) Ausgangsniveau das vorauszusagen, war aber ein 'no brainer'", meinte der Analyst am Dienstag dazu. Dass die aktuellen 80 Dollar billig seien, ist für Stöferle eine "Illusion", die durch die Rekordpreise Mitte 2008 hervorgerufen wird.
Aktuell schwimme das Öl noch auf der weltweit hohen Liquidität und sei zu teuer, "da ist zu viel konjunktureller Optimismus eingepreist". Als Gründe für die Einschätzung werden die nach wie vor schwache Nachfrage in den OECD-Ländern, die hohen Reservekapazitäten und Lagerbestände sowie die Möglichkeit eines sogenannten "schwarzen Schwans" in China angeführt.
Von einer Crashgefahr im Reich der Mitte wollte Stöferle nicht ausdrücklich sprechen - er meinte aber, China sei nicht der "Retter der Weltkonjunktur", er sehe "zahlreiche Anzeichen einer Überhitzung". Die skeptische Haltung zur Entwicklung in China wird von der Analyseabteilung der Erste geteilt, sagte Chefanalyst Friedrich Mostböck.
Der vorgelegte Report nimmt methodische Anleihen aus der Österreichischen Schule der Nationalökonomie (z.B. Ludwig von Mises), einer Wirtschaftsdoktrin, die hauptsächlich außerhalb Österreichs in akademischen Zirkeln bekannt ist.
Das Preisszenario des Erste-Reports gleicht (in abgemilderter Form) dem Jahr 2008: Erwartet wird ein Anstieg des Ölpreises bis zur Jahresmitte 2010 auf 90 bis 100 Dollar, danach wieder ein deutlicher Rückgang auf 60 Dollar pro Barrel. Den Durchschnittskurs 2010 sieht die Erste bei 72 Dollar.
Versorgungsschock durch Unterinvestition
Unter anderem weil seit 2008 die Investitionen in den Ölsektor scharf zurückgegangen sind, sieht die Erste um 2012 aber einen weiteren Preisschock mit "deutlich über 100 Dollar" heraufziehen. Man befindet sich dabei in guter Gesellschaft: Auch die Internationale Energie Agentur (IEA) hält einen solchen Versorgungsschock als Folge von Unterinvestitionen für möglich.
Der Ölbericht der Ersten beinhaltet auch einen Exkurs zum Thema "Shale Gas", Erdgas aus Schiefergestein. Die in der Öffentlichkeit kaum noch diskutierte Ressource könnte die "wichtigste Entwicklung auf dem Energiesektor seit der Entdeckung von Erdöl werden", wird ein Branchenbeobachter zitiert.