Die derzeitigen CO2-Reduktionsprogramme in der Reise- und Tourismusindustrie reichen bei weitem nicht aus, um die Branche in absehbarer Zeit klimaneutral zu machen. Das ergab eine vom Weltwirtschaftsforum (WEF) geleitete Studie. Für die Erhebung haben sich erstmals spartenübergreifend Marktteilnehmer, Organisationen und Regierungen zusammengetan, um den globalen CO2-Ausstoß der Branche zu analysieren und Pläne zur Verringerung zu erstellen, erklärt Jürgen Ringbeck, Senior Partner bei Booz & Company.
Bei einem erwarteten jährlichen Branchenwachstum von 4 Prozent bis 2035 würden mehr Emissionen produziert als durch bisher geplante Initiativen eingespart werden, so Ringbeck. Das hätte die Analyse der in den einzelnen Sektoren geplanten oder vorhandenen Programme ergeben. Allein um den Wachstumsanteil im Tourismus klimaneutral zu gestalten, wäre ein weltweiter Finanzeinsatz von 100 Mrd. US-Dollar notwendig, schätzt man bei Booz & Company.
Tourismus produziert 5 Prozent des CO2-Ausstoßes
Derzeit produziert die Branche laut Studie 5 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes. Allein der Flugverkehr ist demnach für 2 Prozent verantwortlich. Durch die mit der Wirtschaftskrise verbundenen Rückgänge in der Luftfahrt werden die Emissionen zwar vorerst bis 2012 auf das Niveau von 2005 fallen. Nach der konjunkturellen Erholung soll die Flugbranche aber wieder über dem Gesamt-Tourismusschnitt wachsen, nämlich um 5 Prozent p.a. in den folgenden 15 bis 20 Jahren. Das jährliche Plus beim CO2-Ausstoß in dieser Sparte liege - aufgrund weiter optimierter Ladewerte und effizienterer Maschinen - bei 2,7 Prozent jährlich.
Besonders im Flugsektor sieht Ringbeck Schritte nötig. Obwohl von 2005 bis 2020 eine Verbesserung beim Kerosinverbrauch um 25 Prozent prognostiziert wird, hinke der Bereich dem Bodenverkehr "um Jahre" hinterher. Im Luftverkehr sei das Thema Nachhaltigkeit über den Stellenwert von Marketingslogans kaum hinausgekommen, während am Bodenverkehr aufgrund eines größeren Innovationsdrucks und mehr Marktdynamik die Zeichen seit langem auf "Grün" stünden; Stichwort CO2-Steuer, Hybridmotoren, Biodisel, etc.
Doch nun soll sich auch in der Luft einiges ändern: Der Flugverkehr wird in das europäische Emissionshandelssystem einbezogen. Ab 1. Jänner 2010 müssen die Unternehmen ihre CO2-Werte überwachen und jährlich darüber Bericht erstatten. Ab 2012 erfolgt die vollwertige Eingliederung in das EU-Emissionshandelssystem, das bisher nur für Anlagen der Industrie und Energiewirtschaft gilt. Die Unternehmen werden sich also um innovativere, ausstoßärmere Maschinen umsehen müssen.
Hoffen auf Kopenhagen-Konferenz
Konkrete Aussagen zu weltweiten Steuerungsmaßnahmen erwartet Ringbeck bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009. Dort soll der weltweite Nachfolgepakt für das Kyoto-Klimaabkommen beschlossen werden, welches 2012 ausläuft. Bei der Unterzeichnung im Dezember müsse der globale Flugverkehr integriert werden, damit weltweite Regeln das nationale und regionale Flickwerk ersetzen, fordern die Autoren.
Um tatsächliche Verbesserungen und merkliche Auswirkungen auf den Klimawandel zu erzielen, müssten in den einzelnen Tourismussparten jedenfalls massive Geldmittel in die Hand genommen werden. Die Einführung des Flug-Effizienzprogramms "NextGen" in den USA würde rund 30 Mrd. Dollar kosten und eine jährliche Reduktion von 34 Megatonnen CO2 bis 2030 bringen, geht aus der Studie hervor. Für das europäische Pendant Single European Sky (SES) werden keine näheren Zahlen genannt. Investitionen in Programme wie diese würden jedenfalls zu den Top-Prioritäten für ein globales Flugverkehrsmanagement zählen. Weiters könne bei der Vermarktung von Bio-Sprit im Flugverkehr mit einem Investment von 300 Mrd. Dollar ein Emissionsrückgang um 9 Prozent (117 Mt CO2) bis 2030 erzielt werden.
Beim touristischen Transport am Boden wird der sukzessive Umstieg vom Auto auf Massentransportmittel als eine der vielversprechenden Strategien angesehen. Dennoch bleibe das Auto aufgrund der besseren Erreichbarkeit diverser abgelegener Destinationen ein unverzichtbares Verkehrsmittel für die Reisebranche. Die Verbesserung der CO2-Bilanz werde neben einer Verhaltensänderung beim Autogebrauch der Konsumenten vor allem von der Automotivindustrie abhängen, die die Entwicklung effizienterer Vehikel sowie die Verwendung sauberer Energie (Biosprit, Hybridautos, etc.) vorantreiben müsse.
Eisenbahnliberalisierung könnte positiv wirken
Bei Bus und Schiene könne abseits eines verbesserten Spritverbrauchs auch an den Ladefaktoren gearbeitet werden. Politische Schritte wie die EU-weite Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs, die 2010 beginnen soll, seien aus der Sicht der Umwelt positiv zu beurteilen. "Das wird die Leistungsfähigkeit der Bahnen verbessern und das wird auch der Umwelt zugutekommen", sagte Ringbeck.
Auch beim Schiffsverkehr, ein bisher eher kleines Segment, könnten sich Verbesserungen einstellen. Das Segment liege eher hinten was die Nachhaltigkeit betrifft. Im Zuge des Kreuzfahrtenbooms und der größer werdenden Flotten steige aber auch hier die Notwendigkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. In der Kreuzfahrt könnten 15 bis 20 Prozent der Emissionen bis 2020 "kosteneffizient" reduziert werden. Das heißt, dass sich das Investment durch das geschaffene Sparpotenzial selbst abzahlen würde. Ein weiterer Rückgang um zehn Prozent in dieser Periode wird mit 430 Mio. Dollar beziffert.
Effizienzpotenzial im Hotelsektor
Erhebliches Potenzial für klimawirksame Maßnahmen sehen die Analysten auch im Beherbergungssektor: Aufgrund der hohen Kosten für Heiz- oder Klimatisierungssysteme sowie für Gebäudeerneuerung (Z.B. Austausch der Fenster) werden die Hotels nämlich traditionellerweise nur alle 20 bis 30 Jahre generalüberholt. Schätzungen zufolge könnten weltweit bis 2020 rund 29 Prozent der Emissionen in Gewerbeimmobilien (inklusive Hotels) durch moderne Energie-Lösungen auf einem "kosteneffizienten" Weg eliminiert werden. Weitere drei Prozent der Emissionen (14 Mt CO2) könnten in dem Sektor bis 2020 durch Investitionen in der Höhe von 300 Mio. Dollar reduziert werden.
Größere Emissions-Senkungen im Beherbergungsbereich seien allerdings nur durch Regulierungsmaßnahmen zu erzielen. Gefordert wird hier besonders die Beachtung der Struktur der Akteure im Hotelleriegewerbe: Da die Gebäudeeigner und die Hotelbetreibergruppen, die ein Hotel leasen und führen, häufig nicht ident sind, haben erstere nur wenige Anreize zu energieeffizienten Investments. Die daraus entstehenden Gewinne würden schließlich hauptsächlich den Betreibern zufallen.
Beachtet werden müsse auch die traditionelle Kleinteiligkeit des Hotelleriemarktes. Rund 80 Prozent der weltweiten Beherbergungskapazitäten repräsentieren KMUs, die generell über einen geringeren Zugang zu Finanzmitteln für fortlaufende nachhaltige Neuerungen verfügen. Hier müsse die Politik die Betriebe vor allem über Gebäudefinanzierung motivieren. Der Großteil des CO2-Verbrauchs hänge in dieser Sparte am Heizen und Isolieren. Da kein einzelner weltweiter Gebäudestandard (etwa LEED, European Energy Passport, etc.) nahtlos auf den Beherbergungsbereich übertragen werden könne, bedürfe es hier entweder neuer globaler Richtlinien oder einer Adaptierung der bestehenden Regeln, fordern die Studienautoren.
Innovationswettbewerb bei Umwelttechnologien
Grundsätzlich gehe es dabei nicht nur um den Umweltschutz und die Effizienz für die Unternehmen. An der Thematik hänge auch die Frage der Innovationsführerschaft bei Umwelttechnologien in Europa, mahnte Ringbeck. Nachdem selbst in Ländern wie den USA und in China, die regelmäßig für ihren nachlässigen Umgang mit der Umwelt gescholten werden, der politische Wille zu Nachhaltigkeit und zu Investitionen in entsprechende Technologien steige, müsse Europa entscheiden, wo es steht. Das sei "genau die gesunde Form von Wettbewerb, den wir brauchen, um die Erderwärmung anzuhalten", sagte Ringbeck.
China wird laut Studie gemeinsam mit Indien und anderen sich rasant entwickelnden Ländern das Wachstum des CO2-Ausstoßes in den kommenden Jahren massiv beschleunigen. Doch selbst hier sei ein Umdenken im Gange: So habe China kürzlich eine große Umweltkonferenz angekündigt.
Das asiatische Boom-Land befinde sich heute dort, wo Westeuropa vor 60 Jahren gestanden ist. Der Unterschied liege darin, dass die nachhaltigkeitsfördernde Technik heute schon vorhanden ist, und nicht erst erfunden werden muss. "Das könnte uns mit Blick auf die Umwelt zuversichtlich stimmen", so Ringbeck.
Eine Chance für die Umwelt sieht der Experte auch in der aktuellen Wirtschaftskrise: Auf Unternehmen wie auf Staaten steige mehr denn je der Druck zu sparen, also auch sorgsamer mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Das Risiko bestehe in der aktuellen Situation jedoch darin, dass Geld für veraltete oder zu wenig in die Zukunft gerichtete Technologien ausgegeben wird. Hier müssten sich die offiziellen Stellen konkret zur Innovation verpflichten, sagte Ringbeck. Damit etwaige Maßnahmen in der Tourismus- und Reisebranche eine tatsächliche Wirkung auf den Klimawandel entfalten, müsse es zu einer verstärkten Umsetzung in den kommenden zehn bis 15 Jahren kommen.
Auch die Verbraucher seien am Ende der Kette gefragt. Sie könnten noch bewusster reisen, also etwa Hotels buchen, die höhere Öko-Standards anbieten und so die Innovation auf der Anbieterseite fördern. Es gehe nicht darum, als Ökofreak seinen Urlaub im Garten zu verbringen. Man müsse es vielmehr schaffen, bei den Konsumenten Nachhaltigkeit als Qualitätsmerkmal zu etablieren. Europäische Touristen als die einstweilige weltweite Hauptnachfragegruppe sollen hier vorerst die Vorreiterschaft übernehmen.