Zu viele Touristen: Einwohner flüchten von Venedig

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Das Touristenparadies Venedig ist für seine Einwohner eine Hölle. Vor allem die Jugend hat es offenbar satt, horrende Preise für Grundnahrungsmittel zu zahlen, den Touristenstrom auszuhalten, kein Auto zu besitzen und Unsummen für eine kleine Wohnung auszugeben. Die Folge ist, dass immer mehr Einwohner flüchten. 60.052 Einwohner meldet die Lagunenstadt nur noch - ein Rekordtief in ihrer Geschichte.

Vor 40 Jahren hatte Venedig noch doppelt so viele Einwohner. Täglich verliert die Stadt einen "Eingeborenen". In wenigen Wochen wird die Einwohnerzahl unter die 60.000-Schwelle sinken, berichtet die römische Tageszeitung "La Repubblica". Der Trend ist erschreckend. Bis 2030 könnte es keine Einwohner mehr in Venedig geben.

Die rein touristische Infrastruktur der Fremdenverkehrsmetropole macht den Bewohnern das Leben immer problematischer. Die Folgen sind dementsprechend: Während die Beherbergungsbetriebe Jahr für Jahr mit neuen Jubelzahlen aufwarten können, wandert die eigentliche Bevölkerung ständig ab. In den vergangenen 20 Jahren sind rund die Hälfte der Bäckereien, Konditoreien und Fleischgeschäfte im Zentrum der Stadt von der Bildfläche verschwunden. Ersetzt wurden sie von billigen Souvenirläden, Fast Food-Ketten und teueren Boutiquen.

Auch die Verkehrsmittel sind in Venedig ein Problem. Die "Vaporetti" sind ständig von den Touristen beschlagnahmt. Die Bewohner von Venedig müssen auf dem Festland teure Einstellgebühren für einen Pkw zahlen, den sie in der Heimatstadt nicht benützen dürfen. Die Folge ist, dass immer mehr Venezianer ihre Stadt verlassen und ihre Eigentumswohnungen an Touristen vermieten. In den vergangenen Jahren wurden 700 neue kleine familiäre Pensionen eingeweiht. Venedig bleibt aber vor allem eine Mekka der Tagesbesucher: Die absolute Mehrheit der 20 Millionen Touristen, die jährlich die Stadt besuchen, bleiben dort nur einen Tag.

Alternativen gesucht

"Der Druck des Tourismus ist unerträglich geworden. Wir müssen Alternativen zum Fremdenverkehr schaffen", betonte Bürgermeister Massimo Cacciari. Mit einer gezielten Strategie will er Unternehmer im Bereich neuer Technologien und mehr Studenten anziehen. Hinzu sollen 1.200 Wohnungen zu vergünstigten Preisen zur Verfügung gestellt werden. Ob dies genügen wird, um die Einwohnerflucht zu stoppen, ist fraglich.

Cacciari muss scharfe politische Attacken hinnehmen. "Eine verkommene Stadt voller Ratten und Möwen", bezeichnete der Präsident der Region Veneto, Giancarlo Galan, Venedig. "Wie kann man den Verfall dieser Stadt nicht sehen? In vielen Orten des Zentrums gedeihen Rattenkolonien, die sich vom Müll ernähren. Besorgniserregend ist auch die Vermehrung der Möwen, die alles zerstören. Ist es normal, tausende von Plastikflaschen zu sehen, die in den Kanälen Venedigs schwimmen?", protestierte Galan. Der Mitte-rechts-Politiker hat öfters die Verwaltung des Mitte-links-Bürgermeisters Cacciari attackiert.

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