Das Land Oberösterreich ist im seit Jahren dauernden Streit mit dem tschechischen AKW Temelin vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgeblitzt. Der EuGH verwies in seinem Urteil auf das Problem der Ungleichbehandlung. Es dürfe nicht zwischen einer ausländischen Genehmigung für Atomkraftwerke, die nach dem Gemeinschaftsrahmen genehmigt sind, und inländischen Genehmigungen für industrielle Anlagen unterschieden werden.
Der EuGH fordert die österreichischen Gerichte, die mit einer nachbarrechtlichen Klage von Grundstückseigentümer auf Unterlassung schädlicher Einwirkungen durch das Kernkraftwerk Temelin befasst sind, auf, die von den tschechischen Behörden erteilte Betriebsgenehmigung zu berücksichtigen. Es könne nicht sein, dass ein inländischer Anlagenbetreiber sage, dass Emissionen im Inland geduldet werden müssten, ausländische Emissionen aber nicht.
Konkret heißt es in dem Urteil, dass "Österreich die Diskriminierung in Bezug auf die in der Tschechischen Republik für den Betrieb des Kernkraftwerks Temelin erteilte behördliche Genehmigung nicht mit einer Berufung auf die Notwendigkeit rechtfertigen kann, das Leben, die öffentliche Gesundheit, die Umwelt oder das Eigentumsrecht zu schützen". Der bestehende gemeinschaftliche Rahmen, dem diese Genehmigung zum Teil unterliege, trage in wesentlicher Weise gerade zur Gewährleistung des Schutzes dieser Werte bei. Die "genannte Ungleichbehandlung kann somit im Hinblick auf diese Schutzziele weder als erforderlich noch als verhältnismäßig angesehen werden", betont der EuGH.
De facto bedeutet das Urteil, dass sich Temelin auf Ausnahmen berufen kann, die Österreich für behördlich genehmigte Anlagen vorsieht. Neuerlich stellte der EuGH wie schon in den Schlussanträgen des Generalanwalts im April dieses Jahres fest, dass die in Temelin betriebene industrielle Tätigkeit in den Anwendungsbereich des EAG (Europäische Atomgemeinschaft) falle. Das Gemeinschaftsrecht lasse die Schaffung von AKW ausdrücklich zu.
Pühringer will alle Rechtsmittel ausschöpfen
"Oberösterreich wird weiterhin alle rechtlichen Möglichkeiten gegen das grenznahe Atomkraftwerk Temelin ausschöpfen," kündigte Landeshauptmann Josef Pühringer nach dem Urteil des EuGH an. Immerhin habe sich die Betreiberfirma CEZ mit ihrer Behauptung, die vorliegende Unterlassungsklage sei unzulässig, nicht durchgesetzt. Der EuGH habe lediglich festgestellt, dass das Gericht in Linz die ausländische Betriebsanlagengenehmigung nicht grundsätzlich ignorieren könne, sondern die nachbarschaftlichen Vorschriften nicht-diskriminierend anwenden müsse, so Pühringer. "Jetzt wird es darum gehen, ob die tschechische Genehmigung ausreicht, bestehende Schutzvorschriften zu erfüllen."
Hinzukomme, dass die EU-UVP-Richtlinie aus oberösterreichischer Sicht höchst mangelhaft umgesetzt wurde. Dazu laufe parallel ein Vertragsverletzungsverfahren bei der Europäischen Kommission. Das Verfahren in Linz und das Vertragsverletzungsverfahren bei der EU-Kommission seien jetzt die nächsten Schwerpunkte, erklärte der Landeshauptmann. Diese Meinung vertraten zuvor auch Umweltlandesrat Rudi Anschober und der Anti-Atom-Beauftragte des Landes, Radko Pavlovec.
Für Anschober ist die Sache aber noch nicht entschieden: Das EuGH-Urteil stelle nach der Entscheidung der EU-Kommission, dass Tschechiens UVP-Gesetz den EU-Standards nicht entspreche, einen "weiteren Zwischenerfolg" dar. Es bedeute nämlich auch, dass die österreichische Unterlassungsklage nicht grundsätzlich unzulässig sei. Ein Verfahren vor dem Landesgericht Linz werde zeigen, ob die tschechische Genehmigung tatsächlich ausreiche, um die hohen Schutzvorschriften zu erfüllen. Vorhersagen über den Ausgang will er nicht treffen: "Wir betreten damit weltweit Neuland." Er sehe allerdings eine "intakte Chance im Kampf gegen Temelin".
"Das AKW Temelin wurde noch vor dem EU-Beitritt Tschechiens in Betrieb genommen. Die Baugenehmigungen stammen aus der Zeit des kommunistischen Regimes, Mitsprache der Bürger oder Nachbarstaaten war nicht möglich", so Pavlovec. Das Kraftwerk weise schwerwiegende Sicherheitsmängel auf, die entgegen den Bestimmungen des Melker Abkommens bis heute nicht beseitigt seien. "Es besteht daher die berechtigte Hoffnung, dass die Betriebsgenehmigung der Überprüfung vor einem unabhängigen Gericht nicht standhalten wird", schließt sich Pavlovec Anschobers Optimismus an.
Oberösterreich hat 2001 bei einem österreichischen Gericht eine Unterlassungsklage gegen den Temelin-Betreiber CEZ eingebracht. Die Begründung: Die 60 Kilometer vom Kraftwerk entfernt liegenden Anbauflächen der Landwirtschaftsschule des Landes Oberösterreich würden durch die Immissionen der Anlage beeinträchtigt. Die Sache ging bis zum EuGH, der am Dienstag (27. Oktober) dem Land eine Abfuhr erteilte: Es dürfe nicht zwischen einer ausländischen Genehmigung für Atomkraftwerke, die nach dem Gemeinschaftsrahmen genehmigt sind, und inländischen Genehmigungen für industrielle Anlagen unterschieden werden.