Ukraine auch nach Präsidentschaftswahl zerrissen

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Seit der Präsidentschaftswahl in der Ukraine sind erst wenige Tage vergangen, vieles ist nach wie vor im Ungewissen. Aus dem Kreis um die sonst so wortgewandte Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko, die sich knapp um nur etwa drei Prozentpunkte geschlagen geben musste, dringen widersprüchliche Meldungen.

Eines ist aber schon jetzt bittere Gewissheit: Alle, die sich von der Wahl eine stabile politische Mehrheit und die lang ersehnte Richtungsklarheit erhofft haben, wurden enttäuscht. Der Ausgang der Stichwahl ist zu knapp, als dass Wahlgewinner Viktor Janukowitsch seinen politischen Kurs kompromisslos fahren könnte. Er wird sich mit seinen politischen Gegenspielern arrangieren müssen.

Die dringend notwenigen Reformen werden hart umkämpft sein. Schon bisher war das Land durch drei starke politische Lager gespalten: jene um den nun abgewählten Präsidenten Viktor Juschtschenko, Regierungschefin Timoschenko und Oppositionsführer Janukowitsch. Juschtschenko vertrat einen strikt pro-westlichen Kurs einer EU- und NATO-Annäherung, während sich Janukowitsch in seinem pro-russischen Weg gegen einen NATO-Beitritt stellte und Timoschenko sich im Spagat zwischen Ost und West versuchte.

Ost-West-Gratwanderung

Genau diese Ost-West-Gratwanderung wird jetzt auch Janukowitsch meistern müssen. Trotz seiner unveränderten Ablehnung eines NATO-Beitritts kann er den Blick nicht nur Richtung Moskau wenden. Die von der Krise ohnehin stark gebeutelten ukrainischen Wirtschaftstreibenden zieht es sowohl auf die Ost- als auch die Westmärkte. Auch das Volk ist gespalten. Die Zerrissenheit in Ost-und Westteil des Landes trat durch die Wahlergebnisse deutlicher denn je zutage. Einstweilen kann sich Janukowitsch aber nur Präsident des Ostens nennen.

Gleich nach der Wahl vergrämte Janukowitsch den Westen des Landes, der mehrheitlich für Timoschenko gestimmt hatte. Er fordert die Regierungschefin zum Rücktritt auf, ihre Partei soll in Opposition gehen. Janukowitschs Partei der Regionen dagegen bastelt schon eifrig an einer neuen Mehrheitskoalition im Parlament.

3 Parteien sollen daran teilnehmen, welche das sein werden, wird nicht verraten. Schon vor der Wahl vermuteten Beobachter, dass Janukowitsch im Falle seines Wahlsieges das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen könnte. Es wären bereits die vierten Parlamentswahlen seit der Orangen Revolution von 2004.

Timoschenkos Lager wiederum wird nicht müde, dem Kreis um Janukowitsch Wahlbetrug vorzuwerfen. Timoschenko selbst soll vor ihrer Partei erklärt haben, den Wahlsieg Janukowitschs niemals anzuerkennen. Einige ihrer Parteimitglieder sprechen dagegen schon vom Gang in die Opposition.

Andere warfen sich gleich nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses opportun in die Arme des Siegers Janukowitsch. Die politische Lagerzugehörigkeit hinkt den eigenen Interessen bisweilen hinterher, kommentieren Beobachter, denn zahlreiche Abgeordnete sind Unternehmer. Und die Regierungschefin, sonst eine große Freundin der Selbstdarstellung und der großen Worte, schwieg dagegen die ersten Tage nach der Wahl.

Unterdessen hielten am 10.2. mehrere tausend Anhänger Janukowitschs den dritten Tag in Folge die Gegend um die Wahlkommission besetzt. Sie wollen ihrem neuen Präsidenten den Rücken stärken und Wahlanfechtungen symbolträchtig verhindern. Timoschenkos Partei vermied es dagegen ihre Anhänger zu Straßenprotesten zu mobilisieren, obwohl Timoschenko solche im Falle ihrer Niederlage angedroht hatte.

Vor allem Russland scheint sich über den Wahlausgang zu freuen. War der Moskau-freundliche Kandidat Janukowitsch 2004 bei der Präsidentschaftswahl noch gescheitert, kann er jetzt triumphieren. Wiewohl Regierungschef Wladimir Putin es schon vor der Wahl diplomatisch klug verstand, sich mit beiden Stichwahl-Kandidaten zu arrangieren.

Wahlsieger Janukowitsch nannte die Beziehungen zu Russland und den GUS-Staaten nun als prioritär in seiner Außenpolitik. Die russisch Agentur RIA Novosti titelte erfreut: "Janukowitsch plant Wendung nach Osten". Aber das wäre zu kurzsichtig: Kein demokratischer Präsident kann nur mit einer Hälfte der Bevölkerung unterstützend hinter ihm voranschreiten. Auch das Wohlwollen der tonangebenden Oligarchen muss sich Janukowitsch sichern.

Zudem stehen die Verfassungsreform, offene Fragen in der Pensions- und Gesundheitspolitik und das tiefschwarze Loch in der Wirtschaftskasse an. Gelingt Janukowitsch keine Lösung dieser dringenden Probleme, bleibt eine leidtragend: die Bevölkerung.

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