Wie der Kollaps der Finanzwelt verhindert wurde

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Die Nachricht von der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers in den frühen Morgenstunden des 15.9.2008 löste eine Schockwelle aus, die das globale Finanzsystem quasi zum Stillstand brachte.

In den Tagen darauf gelang es Notenbanken und Regierungen, in bisher noch nie dagewesener Zusammenarbeit und mit riesigen Geldmengen den drohenden Zusammenbruch der Finanzwirtschaft zu verhindern. Wie sich die Geldflut längerfristig auswirken wird bzw. wie sie wieder eingedämmt werden kann, ist noch unklar, ebenso, wie die versprochenen neuen Regeln für Banken, Hedge Fonds & Co aussehen werden.

Notenbanken drehen Geldhahn auf und senken Zinsen

Als erstes drehten die Notenbanken von Frankfurt bis Sydney den Geldhahn in beispielloser Form auf, dann folgten Rettungspakete der Regierungen für die Banken. Allein die EZB schoss noch am gleichen Tag 30 Mrd. Euro ein, die US-Notenbank Fed noch mehr. Tags darauf pumpten die Zentralbanken weitere 150 Mrd. Euro in die Märkte. Anfang Oktober senkten sie in einer konzertierten globalen Aktion die Leitzinsen - die Fed hält mittlerweile seit Dezember 2008 auf dem historischen Tiefststand von Null bis 0,25 Prozent, die EZB senkte in sieben Zinsschritten auf 1,0 Prozent.

Wieviel Geld aus den diversen Notfallfonds der Zentralbanken tatsächlich geflossen ist, um die schockgefrorenen Kreditmärkte wieder zum Fließen zu bringen, kann bis heute nur geschätzt werden. Die Bilanzsumme der größten Zentralbanken hat sich in den Tagen nach der Lehman-Pleite vervielfacht, geht aus der jüngsten Wirtschaftsprognose der OECD hervor. Die Ausleihungen der Fed stiegen von rund 820 auf 2.200 Mrd. Dollar. Bei der EZB stieg das Volumen innerhalb weniger Tage von 1.450 auf rund 2.100 Mrd. Euro.

Das verloren gegangene Vertrauen in den Geldmärkten konnte dennoch nicht wieder rasch hergestellt werden. Die Börsen stürzten weiter ab, immer mehr Banken und Versicherungen standen vor dem Zusammenbruch und mussten vom Staat aufgefangen werden - nicht nur in den USA.

Am 17.9. wurde der US-amerikanische Versicherungskonzern AIG sogar von der Notenbank mit 85 Mrd. Dollar (fast 60 Mrd. Euro) vor dem Aus bewahrt, weil das Finanzsystem eine weitere Pleite nicht verkraftet hätte. Merrill Lynch war bereits in der Nacht der Lehman-Pleite von der Bank of America übernommen worden. Es folgte die Übernahme der vor dem Zusammenbruch stehenden viertgrößten US-Bank Wachovia durch die Citigroup und ein Notverkauf der einst führenden amerikanischen Sparkasse Washington Mutual an JPMorgan Chase. Zwischen Jahresbeginn und Ende August 2009 gingen weitere 84 US-Banken pleite.

US-Finanzminister Ex-Goldman Sachs-Chef Henry Paulson schnürte daraufhin einen 700 Mrd. Dollar schweren Rettungsplan für das amerikanische Bankensystem. Im ersten Anlauf scheiterte der Gesetzesvorschlag im Kongress, was den Vertrauensverlust in den Märkten nach Ansicht mancher Experten noch einmal verschärfte.

3 Billionen Euro als Stütze für Banken in Europa

Mittlerweile hatte die Finanzkrise auch Europa mit voller Wucht getroffen. Der deutsche Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) drohte Pleite zu gehen und wurde in letzter Minute mit 35 Mrd. Euro Staats-Bürgschaft gerettet, die mittlerweile auf fast 100 Mrd. Euro aufgestockt wurde.

Gleichzeitig mussten die drei Benelux-Staaten bei Fortis mit 11 Mrd. Euro einspringen und in Großbritannien die achtgrößte Bank Bradford & Bingley mit Hypotheken und Krediten von 63 Mrd. Euro verstaatlicht werden. Island musste überhaupt innerhalb weniger Tagen mit Notstandsgesetzen alle drei Großbanken verstaatlichen um den Zusammenbruch des Systems zu verhindern, was allerdings de facto zum Staatsbankrott führte.

Die EU reagierte nach einer Schrecksekunde mit Krisentreffen. Bereits am 4. Oktober trommelte der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der damals den Ratsvorsitz führte, seine Amtskollegen aus Deutschland, Italien und Großbritannien in Paris zusammen. Ein Sarko-Plan bzw. ein EU-Rettungsfonds kam dabei nicht heraus.

Allerdings vereinbarten die Staatslenker in großen Linien, dass nach den ersten Feuerwehraktionen zumindest akkordiert vorgegangen werden sollte. Konkret sollte jedes Land selbst über die Rettung seiner Banken entscheiden, jedenfalls aber nicht zum Schaden der anderen. Außerdem sollten so rasch wie möglich die Kapitalvorschriften der Banken verschärft werden. "Goldene Regeln statt Geldregen", titelten die Nachrichtenagenturen damals.

In der Praxis reichte auch das nicht. Verunsicherte Sparer begannen, ihr Erspartes von den Banken abzuziehen. Neuerlich schossen die Notenbanken Hunderte Milliarden ein, um die Geldmärkte vor dem Zusammenbruch zu bewahren. In Österreich bildeten sich am 7. Oktober lange Schlangen vor dem Sitz der Bundesfinanzierungsagentur, weil zahlreiche Sparer lieber Bundesschatzscheine mit Republiks-Garantie kaufen wollten. Die Lage beruhigte sich, nachdem die meisten europäischen Regierungen, darunter auch die österreichische, private Sparguthaben vorübergehend in unbeschränkter Höhe garantierten.

Zugleich begann ein EU-Land nach dem anderen, Hilfspakete für ihre Banken zu schnüren, das größte mit mehr als 500 Mrd. Euro in Deutschland. In Österreich stehen den heimischen Instituten 100 Mrd. Euro zur Verfügung, 85 Mrd. Euro für Kreditgarantien und 15 Mrd. Euro für Kapitalspritzen. Von den 27 Ländern spannten zwei Drittel Schutzschirme über ihre Geldhäuser. Auf Druck Österreichs wurde außerdem der Notkreditrahmen der EU für Mitgliedsländer in Osteuropa auf 50 Mrd. Euro verdoppelt.

Die EU-Kommission errechnete im April 2009, dass in den EU-Staaten rund 3 Billionen Euro in Form von Kapitalhilfen oder Garantien eingesetzt wurden, um das europäische Banksystem zu retten bzw. zu stabilisieren. Parallel dazu wurden in den meisten Länder noch Konjunkturprogramme beschlossen, um die zwischenzeitlich eingetretene Rezession zu mildern und die Konjunktur wieder anspringen zu lassen.

Die bei einem eilig im November 2008 einberufenen "Weltfinanzgipfel" vollmundig angekündigten Arbeiten an einem neuen Finanzsystem laufen noch. Zwar wurden beim Folgetreffen in London im April dieses Jahres unter anderem vereinbart, dass die Mittel des IWF und anderer Finanzorganisationen zur Stützung von finanzschwachen Ländern um rund eine Billion Dollar erhöht werden und die Boni von Banken-Managern künftig gedeckelt sollen, an der Umsetzung wird aber noch gearbeitet. Ende September in Pittsburgh sollen beim nächsten G-20 Gipfel die strengeren Regeln für Kapitalanforderungen der Banken konkretisiert werden.

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