Coronavirus

Impfpflicht-Aussetzung für Experten nachvollziehbar

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Kollaritsch: Impfung ist aber weiter wichtig als Schutz vor schweren Verläufen.

Wien. Impf-Experte Herwig Kollaritsch hat persönlich kein Problem damit, dass die Impfpflicht in ihrer derzeitigen Form fällt. Aktuell fehle die faktische Grundlage für eine allgemeine Impfpflicht. Das habe die Expertenkommission, die die Regierung in Sachen Impfpflicht berät und der Kollaritsch angehört, auch in ihrem letzten Bericht Ende Mai festgehalten. Verständnis signalisierte auch der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger. Die Impfung sei aber weiter "hocheffektiv".

Die Impfpflicht würde nur einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung treffen, der vierte Stich sei darin nicht abgebildet, so Kollaritsch gegenüber der APA. Die Impfung an sich sei weiterhin freilich extrem wichtig, um schwere Verläufe nach einer Coronainfektion zu verhindern. Bei einer gesetzlichen Verpflichtung müsse man aber auch beachten, dass die Impfung für den Schutz vor einer Infektion angesichts der neuen Varianten nur noch eine geringe Bedeutung habe, und es schaue auch nicht so aus, als ob bei den neuen Varianten das Grundkriterium für die Impfpflicht - nämlich eine systemkritische Belastung oder Überlastung des Gesundheitssystems bei einer Infektionswelle - erfüllt wäre. Dazu komme, dass eine gesetzliche Impfpflicht immer erst zu einem bestimmten Zeitpunkt schlagend wird und das System damit recht "träge" auf das epidemiologische Geschehen reagieren kann.

Überhaupt fände Kollaritsch es zeitgemäß, weniger über eine allgemeine Impfpflicht als über eine für bestimmte Gruppen nachzudenken. Davon unabhängig solle jeder und jede für sich selbst überlegen, wann eine Auffrischung sinnvoll ist. Personen mit Grunderkrankungen, sehr alte Menschen und jene, die im Alltag sehr viele Sozialkontakte haben, sollten laut Kollaritsch auf jeden Fall schon jetzt auf einen optimalen Impfschutz durch einen vierten Stich achten.

Zeitlinger: "Insgesamt entspanntere Situation"

Zeitlinger ortet gegenüber jener Zeit, zu der die Impfpflicht in Österreich erstmals diskutiert wurde, aktuell eine "insgesamt entspanntere Situation". Für ihn bleibt die Impfpflicht außerdem weiter das "unangenehmste Mittel", um Menschen zur Impfung zu bewegen.

Vor allem durch die Grundimmunität in weiten Bevölkerungsteilen durch Impfungen sowie durchgemachte Infektionen habe sich der Druck auf die Intensivstationen reduziert, wobei eine wieder stärkere Belastung der Normalpflege-Spitalsbetten bereits vor dem Herbst zu erwarten sei. Wenn man davon ausgehe, dass die aktuell kursierenden Omikron-Untervarianten weiter dominant bleiben, und keine "wilde Mutante" auftaucht, sei auch nicht davon auszugehen, dass dieser Druck wieder erheblich ansteigt. "Von daher verstehe ich, dass die nicht sehr populäre Impfpflicht jetzt abgeschafft wird", so der Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni/AKH Wien.

Für jene, vermutlich hierzulande nur noch wenigen Menschen, die tatsächlich noch keine Impfung erhalten und keine Infektion durchgemacht haben, wäre aber "die Impfung nach wie vor extrem wichtig". Insgesamt zu kurz in den Diskussionen um eine Strategie des Durchlaufenlassens der Pandemie komme weiter das Thema "Long Covid", sagte Zeitlinger am Donnerstag zur APA.

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