Regelmäßige Nahrungskarenzen üben nachweislich zellverjüngende Effekte auf den Organismus aus. Die sogenannte Autophagie hält dabei nicht nur Haut, Hirn und Organe jung, sondern kann sogar wie ein Supermedikament wirken.
In den 1960ern wurde bei Experimenten mit Nagern entdeckt, dass (der tierische wie auch menschliche) Organismus einen hoch effizienten Zellverjüngungs- und Regenerationsmechanismus eingebaut hat: die Autophagie. Der Begriff setzt sich aus den altgriechischen Wörtern „auto“ – zu deutsch „selbst“ – und „phagein“ – zu deutsch „fressen“ – zusammen und kann als „sich selbst verzehrend“ übersetzt werden. Unsere Zellen, ständig Energie produzierende kleine Fabriken, sind in der Lage, einzelne ihrer „schlechten“ Bestandteile aufzufressen und sie in Energie sowie in reparierende Bauteile zu verwandeln. „Vereinfacht“, so erklärt der Grazer Molekularbiologe Nico Teuschler, „kann man es sich so vorstellen: Wenn die Autophagie einsetzt, bilden sich ,Müllsäcke‘ um schlechte Zellinhalte – unseren zellulären Abfall. Alte, beschädigte oder nicht verwendbare Zellbestandteile – wie z. B. funktionslose oder fehlgelagerte Proteine – werden dann nicht nur entsorgt bzw. abgebaut, sondern zur Erzeugung von Energie verwendet. Die Zelle wird gereinigt und erneuert.“ Da alte und beschädigte Zellbestandteile maßgeblich die Entstehung von altersbedingten Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und Demenz fördern, leistet die Autophagie einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der Gesundheit. „Klinische Studien“, so Teuschler, „konnten nachweisen, dass sich alte Zellen, die mehr Autophagie betreiben, verjüngen und dadurch gesünder und widerstandsfähiger sind.“ Laut Forschern könne die Autophagie nachweislich die Herzfunktion steigern, das Immunsystem beeinflussen und sich besonders positiv auf die Gehirnfunktion sowie den Stoffwechsel auswirken. „Die Wissenschaft“, so Teuschler, „ist sich einig: Eine einwandfreie Zellfunktion ist verantwortlich für ein gesundes langes Leben, denn wenn Zellen alt werden oder aufhören zu arbeiten, werden wir schwach und krank. Daher ist es wichtig, die Autophagie dauerhaft und regelmäßig zu aktivieren.“
Autophagie aktivieren
Damit der Körper den Autophagie-Prozess starten kann, muss ein zellulärer Schalter gedrückt werden. Und dieser wird erst aktiviert, wenn die Energie aus der letzten Mahlzeit zur Gänze von den Zellen verwertet ist. Denn erst dann, wenn keine von außen nachgelieferten Rohstoffe mehr vorhanden sind, ist die Zelle dazu genötigt, zur Energiegewinnung auf das zurückzugreifen, was noch vorhanden ist: auf den brandgefährlichen zellulären Abfall.
Die genaue Dauer der dafür benötigten Fastenperiode ist noch nicht zur Gänze erforscht beziehungsweise von Mensch zu Mensch verschieden. 16 Stunden täglich fasten (die 16:8-Methode) gilt jedoch als sinnvoller Richtwert, um von dem sogenannten Jungzellen-Effekt zu profitieren. Je länger die Esspause andauert, desto stärker wirkt die Autophagie. Die Empfehlung lautet allerdings, ein Intervallfastensystem im 24-Stunden-Rhythmus beizubehalten. So lebt das zirkadiane Wesen Mensch im Einklang mit seiner inneren Uhr, wodurch gesundheitsförderliche Dynamiken verstärkt werden. Erlaubt sind in der Fastenphase viel Wasser sowie ungesüßte Tees und Kaffee (ohne Zucker und Milch).
Autophagie ohne Fasten
Doch nicht jeder darf beziehungsweise schafft es, regelmäßig Esspausen in seinen Alltag zu integrieren. Zu Personengruppen, denen aus medizinischer Sicht vom Fasten abgeraten wird, zählen Personen im fortgeschrittenen Alter, Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen, Schwangere und Personen mit Untergewicht. Für all jene, für die (dauerhaftes) Intervallfasten keine Option ist, gibt es gute Nachrichten aus den Laboren: Bestimmte Lebensmittel – und zwar solche, die den Stoff Spermidin enthalten – sind in der Lage, den Fasten-Effekt auszulösen. Dieses Polyamin mit dem auffälligen Namen könnte der Zellalterung besonders nachhaltig entgegenwirken, da es trotz Nahrungsmittelzufuhr – erlaubt sind Lebensmittel wie u. a. Käse, Nüsse, Gemüse und sogar Rotwein – die gleichen „zellulären Schalter“ drückt wie das besprochene Fasten.
Autophagie in der Prävention & der Therapie
Ob durch Fasten, Spermidin oder im Idealfall durch beides ausgelöst: Die wissenschaftlichen Nachweise für die Wirksamkeit der Autophagie häufen sich. Im Folgenden gibt Molekularbiologe Teuschler einen Überblick über die aktuelle Studienlage. So wirkt Autophagie auf:
– Neurodegeneration: Durch die Aktivierung von Autophagie lassen sich laut Studien toxische Proteinaggregate in den Zellen entfernen, die für Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder die amyotrophe Lateralsklerose (ALS), verantwortlich sind. Dies wurde u. a. durch humane Studien belegt.
– Herzfunktion: Forscher schreiben der Autophagie die Fähigkeit zu, die Herzfunktion stark zu verbessern. Die Gabe von Spermidin könne vorbeugend auf altersassoziierte kardiovaskuläre Krankheiten wirken. Außerdem verbessere Spermidin die zelluläre Atmung durch einen erhöhten Mitochondrien-Gehalt in den Herzzellen. Herzmuskelzellen (Kardiomyozyten), die für die Kontraktion des Herzens verantwortlich sind, nehmen über einen spezifischen Zelltransporter Spermidin auf, wobei der positive autophagische Effekt auch in diesen Zellen auftreten kann.
– Knochen und Knorpel: Spermidin kann die Produktion von Stammzellen steigern und wirkt sich positiv auf die Knochendichte aus.
– Immunabwehr und Immunsystem: Autophagie spielt in der Immunabwehr eine wichtige Rolle und kann einerseits dabei helfen, pathogene Mikroorganismen zu entsorgen. Andererseits erfüllt Autophagie noch eine wichtige Funktion bei der Vermittlung des immunologischen Gedächtnisses und verbessert dieses im Alter. Spermidinsupplementierung reduziert inflammatorische Zytokine (Anm.: Immunhormone) und führt zur erhöhten Bildung von Gedächtniszellen.
– Altern und Langlebigkeit: Das Spermidin- und Autophagie-Level sinkt mit höherem Alter im menschlichen Körper ab. Eine Spermidinsupplementierung kann den Spermidin-Pool auffüllen, induziert die Autophagie im Körper und führt laut Studien an Mäusen zu einer Lebensverlängerung. Zusätzlich dazu konnte in einer epidemiologischen Langzeitstudie (20 Jahre) nachgewiesen werden, dass ein höherer Konsum von spermidinhaltigen Nahrungsmitteln mit einer reduzierten Sterblichkeit und einer fünf Jahre längeren Lebenserwartung korreliert.
– Diabetes und Übergewicht: Polyamine, wie Spermidin haben das Potenzial „schlechtes“ weißes Fettgewebe zu reduzieren und die Fett-Oxidation anzukurbeln.
✏ Fasten & Spermidin: „Fasten und Spermidin“, so Molekularbiologe Nico Teuschler, „schließen sich nicht aus, sondern können synergetisch wirken.“ ✏ Wie lange fasten? 16 Stunden täglich fasten (die 16:8-Methode) gilt als sinnvoller unterer Richtwert, um vom Jungzellen-Effekt zu profitieren. Je länger die Esspause andauert, desto stärker wirkt die Autophagie (s. auch Info „Intervallfasten“ li.). ✏ Wie viel Spermidin? Teuschler: „Generell gilt: Je mehr desto besser und vor allem regelmäßig. Eine täglich ausgewogene und spermidinreiche Ernährung steht im Vordergrund. Als Zusatz zur Ernährung gibt es mittlerweile auch das erste klinisch getestete Nahrungsergänzungsmittel aus Weizenkeimextrakt mit hohem Spermidingehalt.“ |