Raphaël Pichon kombinierte Mozarts Opernfragment "Zaide" und die Kantate "Davide penitente" zu einem schlüssigen und hörenswerten halbszenischen Abend in der Felsenreitschule
Eine außergewöhnliche Produktion ist am Sonntag bei den Salzburger Festspielen zu Recht ausgiebig gefeiert worden. "Zaide oder Wege des Lichts" nannte Raphaël Pichon seinen Versuch, das unvollendet gebliebene Singspiel "Zaide" mit der Kantate "Davide penitente" zu einem schlüssigen halbszenischen Abend zu kombinieren. Das Konzept ging auf. Was herauskam, war so etwas wie ein "Fidelio" von Mozart - und erntete nach 100 Minuten in der Felsenreitschule Standing Ovations.
Pichons Pygmalion Orchestra hat auf der Bühne der Felsenreitschule Platz genommen, deren Arkaden fast alle verhüllt waren. Ein einsamer Arbeiter wischt den Boden. Als eine junge Frau dazustößt, wird im Dialog rasch klar: Hier war einst ein Gefängnis für politische Gefangene. Allazim war damals Gefängniswärter und ist nun Museumswärter. Die Besucherin aber stellt sich als Tochter Zaides vor, und an die erinnert sich Allazim besonders gut. Zaide hatte ihre Folterungen singend ertragen und bei allen Insassen einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen. Allmählich erfährt man: Zaides Tochter Persada wurde im Gefängnis geboren, entstammt ihrer Verbindung mit dem Mitgefangenen Gomatz und wurde von Allazim vor dem Tod gerettet, als der grausame Herrscher Soliman Zaide und Gomatz tötete.
Kristina Hammer mit Jessica von Bredow-Werndl
Schlüssige, neu erfundene Handlung
So steht diese Geschichte in keinem Libretto. Was die 1780 komponierte und musikalisch fast fertige Mozart-Oper "Zaide" genau erzählen sollte, muss man sich seit dem Verlust des originalen Textbuches von Andreas Schachtner selbst zusammenreimen. Das hat Pichon in Kollaboration mit dem Autor Wajdi Mouawad auch ausgiebig getan. Herausgekommen ist eine schlüssige und insgesamt durchaus ergreifende Geschichte um eine Liebe hinter Gittern und die Hoffnung, dass die Früchte solcher Liebe mehr den Weg der Vergebung als jenen der Rache beschreiten werden. Das ist an einer Schlüsselstelle der zu diesem "Pasticcio mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart" erfundenen Handlung jedenfalls das zentrale Argument für den Despoten, auf Drängen von Allazim auf den Kindsmord zu verzichten.
Verzichtet hat Raphaël Pichon auf fast alle szenische Zutaten. Im Wesentlichen ist es die von Evelin Facchini besorgte Choreografie des Pygmalion Choir, die in der Unterstützung der Sänger für Bewegung und Ausdruck sorgt. Man vermisst nichts, denn man hat alle Ohren voll zu tun, der französischen Sopranistin Sabine Devieilhe als schwangere Gefangene Zaide und der franko-italienischen Mezzosopranistin Lea Desandre als ihre zarte Tochter Persada bei ihren Wehklagen und Liebesschwüren zu folgen.
Dichter Gesamteindruck
Diese stehen vielleicht nicht immer in einem vollkommen stringenten Zusammenhang (auch die Bühnenmusik zu "Thamos, König in Ägypten" und weitere Mozart-Werke aus der Zeit 1779-1785 wurden eingearbeitet), fügen sich aber zu einem dichten Gesamteindruck. Der wird auch nicht dadurch getrübt, dass Julian Prégardien als Gomatz, Johannes Martin Kränzle als Allazim und Daniel Behle als Soliman mit putinesken Zügen sängerisch nicht an die Strahlkraft der Frauen heranreichen.
Die neu gewonnene Freiheitsoper, die geradezu ideal das Gesamtbild der diesjährigen Salzburger Festspiele ergänzt, steht noch zwei Mal auf dem Programm.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)