Die Corona-Pandemie als Auslöser einer Epidemie der Einsamkeit? Wie gefährlich die Auswirkungen chronischen Alleinseins sein können und wie man versucht, entgegenzuwirken.
Tracey Crouch hat den wohl ungewöhnlichsten Ministertitel der Welt. Seit Anfang 2018 ist die 42-Jährige Einsamkeitsministerin in Großbritannien – und damit als erste weltweit selbst ziemlich einsam. Die damalige Premierministerin Theresa May hatte aufgrund der hohen Rate an Menschen, die sich oft oder immer einsam fühlen und keinerlei soziale Kontakte haben, das Ressort eingeführt. Mit der Notwendigkeit, sich dieses prekären Themas anzunehmen, steht das Vereinigte Königreich keineswegs alleine da. Spätestens seit Beginn der Pandemie, des Lockdowns und damit der Unterbindung persönlicher Kontakte, leiden Menschen in der ganzen Welt verstärkt an psychischen Folgen der Vereinsamung.
In Österreich wurde deshalb bereits Mitte 2019 von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft die Initiative „Reden Sie mit“ gestartet. Ziel: „Dem bis dato ungeahnten Einfluss der Coronakrise auf die Psyche der Menschen – vor allem auch bei Personengruppen, die bis dato nicht gefährdet waren, psychisch zu erkranken – auf den Grund zu gehen“, erklärt Claudia Lingner, Initiatorin der Initiative und Geschäftsführerin der Ludwig Boltzmann Gesellschaft. „Unser Ziel ist es, rasch mit geeigneten Handlungsempfehlungen für die Politik darauf zu reagieren und gleichzeitig neue Forschungsfragen in die Wissenschaft einzubringen.“ Denn Fakt ist: Neben allen anderen Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie und deren wirtschaftliche Auswirkungen dürfen auch deren soziale Folgen nicht vergessen werden.
Als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherepeutische Medizin leitet Priv.-Doz. Dr. Beate Schrenk die Forschungsgruppe „D.O.T. – Die offene Tür“, die sich insbesondere damit auseinandersetzt, die Beziehungen zwischen jungen Menschen zu stärken. Im MADONNA-Interview spricht die Expertin über ihre Erkenntnisse – und wichtige Wege aus der Einsamkeit:
Frau Dr. Schrank, Ausgangspunkt für die im letzten Jahr gestartete LBG-Initiative war die Frage „Was macht Corona mit unserer psychischen Gesundheit?“. Wie lautet Ihre Antwort nach Ihrer nunmehr fast einjährigen Erfahrung als Expertin?
Dr. Beate Schrank: Die psychische Belastung hat sich vom Empfinden her von einer akuten Krise gewandelt zu einem chronisch belastenden Zustand, bei dem kein Ende in Sicht ist. Neben sozialen Folgen wie Jobverlust und Stress im Familienalltag führen die chronische Unsicherheit und die chronische Isolation zunehmend zu depressiven Symptomen bis hin zu vermehrten diagnosewürdigen depressiven Erkrankungen.
Die Worte „Ich bin einsam“ werden von vielen nicht ernst, schon gar nicht als Krankheitsbild wahrgenommen. Wie sehr beeinträchtigt die dauerhafte soziale Distanz die menschliche Psyche?
Schrank: Menschen sind soziale Wesen. Auch wenn manche besser mit Einsamkeit zurechtkommen als andere, so brauchen wir doch die soziale Verbundenheit, um psychisch gesund zu bleiben. Die Wissenschaft zeigt ganz klar – und das auch schon vor der Pandemie –, dass soziale Verbundenheit die Resilienz fördert. Das heißt, sie hilft Menschen, schwierige Herausforderungen zu meistern und gesund zu bleiben. Einsamkeit und Isolation führen dagegen zu vielfältigen psychischen Beschwerden, wie Leistungseinbußen, vermehrtem Substanzkonsum, Reizbarkeit und sogar Gewaltbereitschaft, Angst, Depression usw. Mit den Auswirkungen von sozialer Verbundenheit bzw. Einsamkeit besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen habe ich mich schon in den letzten Jahren in meiner Forschung intensiv auseinandergesetzt. Hier sind die schützenden positiven Effekte von sozialer Verbundenheit besonders deutlich, ebenso wie die negativen Auswirkungen von Isolation. Ich bin froh, dass die Pandemie verstärktes Licht auf diesen Bereich der psychischen Gesundheit wirft. Hier wird es auch in den kommenden Jahren noch viel zu tun geben, um die entstandenen psychischen Schwierigkeiten wieder auszugleichen.
Man spricht auch immer wieder davon, wie wichtig Körperkontakt für Menschen ist – wie viel Berührung brauchen wir?
Schrank: Auch hier sind Menschen individuell unterschiedlich veranlagt. Ganz prinzipiell führt angenehmer körperlicher Kontakt – z. B. Kuscheln – zu einer Oxytocinausschüttung. Das Hormon Oxytocin ist dafür verantwortlich, dass wir positive Bindungen aufbauen und andere, aber auch uns selbst mögen. Das heißt, etwas verkürzt ausgedrückt: Berührung zu missen wirkt sich auch negativ auf unser Selbstbild und unsere Selbstliebe aus. Auch das macht letztlich depressiv.
Wie erkennt man als Betroffene(r), dass man Hilfe von außen benötigt?
Schrank: Typische depressive Symptome sind ein Mangel an Energie und Motivation. Wenn man sich immer schlechter dazu aufraffen kann, konstruktiv Dinge zu erledigen, eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten oder morgens den Pyjama auszuziehen, dann sollte das ein Warnsignal sein. Auch Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, Grübelneigung, innere Unruhe und Anspannung und ganz allgemein eine Vernachlässigung der Selbstfürsorge können auf eine Depression hinweisen.
Wie beugt man Einsamkeits-Gefühlen vor?
Schrank: In Wirklichkeit geht das nur durch Kontakt mit anderen Menschen. Online-Angebote können hier vorübergehend Abhilfe schaffen, aber digitaler Kontakt kann nie ein 100-prozentiger Ersatz für direkten persönlichen Kontakt sein. Wenn man aber lange isoliert ist, wird auch das Wiederaufnehmen von Sozialkontakten immer schwieriger. Es ist also wichtig, regelmäßig, wenigstens digital, Kontakte zu pflegen. Ich mache auch die Erfahrung, dass Menschen zu mir in die Ordination kommen, einfach um sich den Frust mal von Mensch zu Mensch von der Seele zu reden und dass das alleine schon helfen kann, negative Gefühle und depressive Symptome zu mildern.
Mit welchen Maßnahmen kann gegen die Vereinsamung vorgegangen werden?
Schrank: In der derzeitigen Situation ist es natürlich schwierig, dass Menschen zusammenkommen. Wir sollten uns aber darauf vorbereiten, dass es wieder möglich sein wird. Diese Vorbereitung ist etwas, an dem wir uns festhalten können. Mit meiner Forschungsgruppe der Ludwig Boltzmann Gesellschaft an der Karl Landsteiner Universität arbeiten wir etwa gerade an einem Online-Selbsthilfenetzwerk für Jugendliche und junge Erwachsene, das wir OPEN nennen (www.open-p2p.at). Es soll Jugendliche miteinander verbinden, Kommunikation und gegenseitige Hilfe fördern und die soziale Verbundenheit hochhalten, gerade wenn es am schwierigsten ist. Wir machen die Erfahrung, dass es sehr befriedigend ist, anderen zu helfen, dass es Verbindung stärkt und gefühlter Vereinsamung entgegenwirkt.
Tipps gegen Einsamkeit im Lockdown
Kontakt! Nutzen Sie die digitalen Möglichkeiten und halten Sie mit anderen Kontakt, auch wenn es nicht so Spaß macht wie ein Treffen.
Helfen Sie anderen! Sprechen Sie mit anderen über Ihre Gefühle und fragen Sie sie, wie es ihnen geht. Anderen zu helfen, gibt ein gutes Gefühl und macht deutlich, dass Sie nicht allein sind.
Professionelle Hilfe: Nehmen Sie dauerhafte Antriebslosigkeit, Panik-Attacken etc. ernst und wenden Sie sich an Experten. z. B. Corona-Sorgenhotline: 01/4000 53000 oder psychologiehilft.at |
Priv.-Doz. Dr. Beate Schrank ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und leitende Oberärztin an der Abteilung für Psychiatrie des Universitätsklinikums Tulln. 2015 erhielt sie die Lehrbefugnis im Fach Psychiatrie an der Medizinischen Universität Wien. Mit ihrer Forschungsgruppe der Ludwig Boltzmann Gesellschaft an der Karl Landsteiner Universität arbeitet sie an dem Selbtshilfenetzwerk OPEN. Interessenten-Anfragen an beate.schrank@kl.ac.at