Belvedere-Installation

Ai Weiwei: Chinas berühmtester Regimekritiker in Wien

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Belvedere-Becken wird zu Flüchtlingsmahnmal.

Es ist die programmierte Blockbusterausstellung des Jahres: Die erste große Einzelschau des chinesischen Kunststars Ai Weiwei in Wien. Mit der monumentalen Aufstellung eines Ming-Tempels im 21er Haus und einer Freiluftinstallation hinter dem Oberen Belvedere, ist der 58-jährige Künstler mit starken Arbeiten präsent. Am Dienstag präsentierte sich Ai Weiwei erstmals bei seinem Werk beim Belvedere.

Und während sich wohl 99 Prozent aller bildenden Künstler dieses Planeten gänzlich unerkannt im öffentlichen Raum bewegen können, wird der Chinese ohne Unterlass von Passanten um Selfies und Autogramme gebeten, hat sich der in den Sozialen Medien hochaktive Künstler doch zum globalen Superstar entwickelt, der mit seinen Ausstellungen die Massen lockt. In Wien ist unter anderem seine Arbeit "Circle of Animals/Zodiac Heads" beim Belvedere zu sehen.

Chinesische Tierkreiszeichen rund um Belvedere-Wasserbecken

Die 2010 entstandenen Arbeit umfasst die Köpfe der zwölf monumentalen chinesischen Tierkreiszeichen, die um das Wasserbecken hinter dem Belvedere gruppiert sind - vom Hasen über die Ratte bis zum Drachen. Je knapp 600 Kilogramm schwer sind die Bronzeskulpturen, mit denen der Künstler an die Plünderung des kaiserlichen Sommerpalasts Yuanming Yuan nahe Peking durch französische und britische Truppen 1860 zum Ende des zweiten Opiumkrieges erinnern will. Sieben der damals entwendeten astrologischen Symbole sind über die Jahre wieder aufgetaucht, der Rest fehlt nach wie vor. Ai Weiwei hat sich deshalb an eine behutsame Neuinterpretation der historischen Vorbilder gewagt.

Somit gliedert sich die Arbeit nahtlos in die großen Themen des Künstlers ein, die sich um Migration als persönliche Erfahrung und gesellschaftlicher Brennpunkt sowie um die Begegnung verschiedener Kulturen drehen. Dies verdeutlicht noch stärker eine zweite, schwimmende Skulptur, die das Ausstellungskapitel beim Belvedere ergänzt. "F Lotus" wirkt auf den ersten Blick wie eine dekorative Orchidee im Teich. Sollte der Besucher jedoch die Gelegenheit haben, sich in die Lüfte zu erheben, erkennt er ein kalligrafisches F, das aus 1.005 Schwimmwesten besteht - ein klarer Verweis auf die aktuelle Flüchtlingssituation. Hinzu kommt "Lu", eine drachenähnliche, fliegende Skulptur im Treppenhaus des Barockpalais.

Das Herzstück der von Alfred Weidinger kuratierten Personale "Translocation - Transformation", die von einem eigenen Blog flankiert wird, findet sich allerdings im benachbarten 21er Haus. Hier hat Ai Weiwei den Ahnentempel einer Händlerfamilie aus der Ming-Dynastie aufbauen lassen. Die aus 1.300 Einzelstücken zusammengesetzte, 14 Meter hohe Holzkonstruktion wurde in der zentralen Ausstellungshalle des Baus errichtet und dafür eigens aus China herbeigeschafft. Diese Arbeit will der Künstler am Mittwoch der Öffentlichkeit präsentieren.

Zur Biografie von Ai Weiwei>>

Ai Weiwei, geboren am 28. August 1957, hat sich zweifelsohne als der bekannteste lebende Künstler Chinas etabliert und wird im Westen allerorten als Superstar gefeiert. Aber auch in China ist der Künstler als Regimekritiker präsent, der gesellschaftliche Probleme, Korruption und Ungerechtigkeiten thematisiert. In seiner Heimat hat Ai Weiwei seine Kunst jedoch noch nicht ausstellen können.

Der Künstler war aktiv als Blogger und Twitterer, der Missbräuche von Polizei und Behörden anprangerte. Die chinesische Zensur schritt immer wieder dagegen ein. Als Kritiker des kommunistischen Regimes fiel er in Ungnade, erlitt bei einem Polizeieinsatz eine Hirnblutung und wurde 2011 sogar für einige Monate unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung inhaftiert. Proteste der europäischen Kunstszene waren die Folge. Erst 2015 erhielt Ai Weiwei seinen Pass zurück und flog nach Deutschland aus. In Berlin trat er zum 1. November seine Gastprofessur an der Universität der Künste an.

Geboren wurde Ai Weiwei in Peking, wo er auch an der Filmakademie studierte, bevor er zwischen 1981 und 1993 in den USA lebte. Aufgrund der Erkrankung seines Vaters, des Dichters und Regimekritikers Ai Qing, kehrte er nach China zurück und eröffnete 1994 in Peking die Galerie für experimentelle Kunst "China Art Archives and Warehouse".

Ai Weiwei etablierte sich in seiner Heimat als politisch aktivistischer Künstler. In seinen Arbeiten thematisierte er immer wieder die Menschenrechte. Nach dem schweren Erdbeben 2008 in der chinesischen Provinz Sichuan begann Ai Weiwei etwa, die Namen der Kinder zu dokumentieren, die in ihren Schulen ums Leben gekommen waren. Die Gebäude waren durch Korruption und Pfusch am Bau schlecht gebaut worden und beim Beben eingestürzt. Im Westen wurde Ai Weiwei spätestens mit seiner Arbeit für die Documenta 2007 bekannt, für die er 1.001 Chinesen nach Kassel holte.

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