Es fanden sich keine Beweise, dass der 19-Jährige mit Vorsatz tätlich vorgegangen war.
Ein Häftling, der vor etwas mehr als zwei Monaten aus der Justizanstalt (JA) Wien-Josefstadt flüchten wollte, ist am Mittwoch vom Vorwurf des Widerstands gegen die Staatsgewalt und der versuchten schweren Körperverletzung freigesprochen worden. Im Landesgericht für Strafsachen fanden sich keine Beweise, dass der 19-Jährige mit Vorsatz tätlich gegen zwei Justizwachebeamte vorgegangen war.
Der mehrfach vorbestrafte Tschetschene sollte am 14. März 2017 zu seiner Berufungsverhandlung am Wiener Oberlandesgericht ausgeführt werden. Der U-Häftling war in erster Instanz wegen eines Gewaltdelikts zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Zwei Justizwachebeamte eskortierten den jungen Mann gegen 9.40 Uhr zu einem bereitgestellten Fahrzeug, mit dem dieser in den Justizpalast gebracht werden sollte.
Fluchtversuch
Am Weg dorthin passierte die Gruppe eine Schleuse, die hinter ihnen geschlossen wurde. Während des Schließvorgangs wandte sich der 19-Jährige plötzlich um, rannte auf das doppelflügelige Tor zu, schlüpfte durch einen Spalt, gelangte so auf den Vorplatz der Justizanstalt und in weiterer Folge im Laufschritt auf die Wickenburggasse.
Die Beamten nahmen die Verfolgung auf und holten den mit Handschellen gefesselten Mann auf Höhe der Justizwachschule ein. Einer versetzte ihm von hinten einen seitlichen Stoß, sodass der 19-Jährige gegen einen Pfeiler und ein daran befestigtes Fahrrad krachte und zu Boden stürzte. Der zweite Beamte warf sich auf ihn und fixierte den 19-Jährigen.
"Er wollte die Flucht fortsetzen"
"Ich hab' mich auf ihn gelegt und mit der rechten Hand seine Handschellen gehalten und mit der linken auf seinen Körper gedrückt", gab jener Beamte zu Protokoll. Dabei habe der Häftling wiederholt mit dem rechten Knie gegen sein linkes Knie gehaut: "Meiner Meinung nach war das gezielt, dass er seine Flucht fortsetzen kann."
Der andere Kollege war wiederum bestrebt, die Beine des am Boden Liegenden zu fixieren. "Er hat auf mich eingetreten. Er wollte die Flucht fortsetzen", behauptete dieser Beamte. Der renitente Häftling habe ihm dabei das rechte Handgelenk verstaucht.
"Ich habe sie nicht angegriffen"
"Ich bin davongelaufen. Aber ich habe sie nicht angegriffen. Ich hatte Handschellen, ich lag auf dem Bauch. Wie soll ich da gezielt nach ihnen treten?", sagte demgegenüber der Angeklagte. Als er zu Boden gebracht wurde, sei einer der Beamten über ihn gestolpert: "Er hat mir deswegen eh leidgetan." In der Situation hätte Widerstand zu leisten keinen Sinn gehabt, gab der 19-Jährige zu bedenken: "Die zwei waren schon über mir, weitere Justizwachebeamte sind nachgekommen. Warum sollte es sich lohnen, da noch zu treten? Das, was mir vorgeworfen wird, habe ich nicht gemacht."
Dem Angeklagten war bewusst, dass er einen schlechten Stand hatte. "Wie soll ich es Ihnen beweisen? Ich bin Häftling, ich bin vorbestraft", bemerkte er abschließend in Richtung von Richter Daniel Rechenmacher.
Freispruch
Dessen ungeachtet fällte dieser am Ende einen Freispruch. "Dass man sich in der Lage mit den Beinen bewegt und nicht liegen bleibt wie ein Stück Holz, ist vollkommen klar", gestand der Richter dem Burschen zu. Im Zweifel ging Rechenmacher zugunsten des Angeklagten aber nicht davon aus, dass der gefesselt in Bauchlage befindliche 19-Jährige gezielte Tritte gesetzt hatte. Der Freispruch ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab.
Die Justizwachebeamten, die sich als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen und jeweils 3.000 Euro verlangt hatten, wurden mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Der angeblich an der Hand Verletzte hatte sich drei Wochen in den Krankenstand verfügt und ist seinen Angaben zufolge nach wie vor in physiotherapeutischer Behandlung. Der zweite Beamte hatte seiner Aussage nach einen Bluterguss am Knie erlitten. Er war 23 Tage im Krankenstand.
Der Häftling wurde mittlerweile in die JA Graz-Karlau verlegt. Seinen Fluchtversuch, der allein noch keinen strafbaren Tatbestand begründet, hatte er im Ermittlungsverfahren damit erklärt, er habe befürchtet, nach Verbüßung seiner Strafe abgeschoben zu werden. Inzwischen ist dem jungen Mann, der als Kind mit seinen Eltern aus Tschetschenien nach Österreich geflüchtet war, tatsächlich der Aufenthaltstitel aberkannt worden. Damit dürfte seiner Abschiebung mittelfristig nichts mehr im Wege stehen.
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