80 Jahre Kriegsende

Schwindelei trug zur Befreiung des KZ Mauthausen bei

Albert Kosiek rettete am 5. Mai 1945 37.000 Menschen aus den KZ Mauthausen und Gusen. 

Mauthausen. Albert Kosiek war Kommandant jener Einheit, die am 5. Mai 1945 das Konzentrationslager Mauthausen und das Nebenlager Gusen befreite. Dabei half auch der Zufall mit - und eine Schwindelei Kosieks. Denn die eigentliche Aufgabe der 11. Panzerdivision der 3. US-Armee, der Kosiek vorstand, war es, in der Region Brücken für die US-Panzer zu sichern, schreibt die Plattform Liberation Route Europe auf ihrer Website.

Im Zuge ihrer Tätigkeit traf die Truppe auf SS-Hauptleute, die annahmen, die US-Soldaten würden nach den Konzentrationslagern suchen. Kosiek selbst erinnerte sich im Magazin "Thunderbolt": "Von dem, was wir (von den SS-Leuten, Anm.) verstanden, lag hinter der Brücke, die wir sichern sollten, ein großes Konzentrationslager." Bei diesen handelte es sich um Mauthausen mit dem Nebenlager Gusen. Im Beisein der SS-Männer war der Schweizer Louis Häfliger. Er war Gesandter des Roten Kreuzes und "versuchte, einen US-amerikanischen General zu kontaktieren, damit das KZ aufgegeben würde", so Kosiek.

Kosieks Sohn Paul und dessen Ehefrau Sandy, beide 63, sagte im Interview mit der APA zur Situation am 5. Mai 1945: "Die USA wussten, dass es (in der Gegend) zwei Konzentrationslager gab, aber sie hatten sie nicht finden können." Albert Kosiek behauptete gegenüber den SS-Leuten und dem Rotkreuz-Vertreter, dass er tatsächlich die Lager suche. Doch das war nicht die einzige Schwindelei: "Ich ließ ihn (Häfliger) glauben, ich sei der direkte Vertreter des kommandierenden Generals der 11. Panzerdivision."

37.000 Menschen gerettet

"Ich bat daraufhin meinen Kommandanten über Funk um Erlaubnis, in das Lager gehen zu dürfen, und betonte, dass 1.600 Häftlinge für eine rasche Befreiung auf uns angewiesen seien", berichtete Albert Kosiek dem Magazin weiter. Später sollte sich herausstellen, dass an jenem Tag aus dem KZ Gusen rund 25.000 und aus dem KZ Mauthausen rund 12.000 Menschen befreit wurden. Ein paar tausend von ihnen, schreibt die KZ-Gedenkstätte Mauthausen, starben allerdings trotz medizinischer Behandlung in den Monaten nach der Befreiung an den Folgen ihres schlechten Gesundheitszustands.

Nach der erteilten Erlaubnis befreite Kosieks Truppe zunächst das KZ Gusen, anschließend jenes in Mauthausen. Das Eintreffen in selbigem beschrieb Kosiek folgendermaßen: "Hinter dem Zaun (des KZ) waren hunderte Menschen, die vor Freude verrückt wurden, als sie uns sahen. Es ist ein Blick, den ich nie vergessen werde. Einige waren nur mit Decken bedeckt, andere waren völlig nackt, und bildeten den ausgemergeltsten Haufen, den ich je zu Gesicht bekommen habe." Und er berichtete auch: "Im hinteren Teil des Hofes waren die Leichen zu einem Haufen aufgestapelt."

Der andauernde Geruch der Leichen

Sein Sohn Paul wusste lange nur sehr wenig darüber Bescheid, wie dieser gegenüber der APA schildert. "Natürlich hat er mit meiner Mutter geredet", sagt Paul Kosiek. "Aber mit uns Kindern hat er nie über seine Erfahrungen gesprochen."

Sein Vater sei keineswegs angeberisch gewesen, meint Paul Kosiek, sondern bescheiden. "Wenn jemand ihn danach (nach der Befreiung) fragte, sprach er darüber" - aber von sich aus habe Albert nie davon zu sprechen begonnen. Paul Kosiek vermutet, dass sein Vater sich die schrecklichen Erinnerungen nicht ins Gedächtnis rufen wollte. "Meine Mutter erzählte uns (Kindern), dass es sehr lange gedauert hat, bis mein Vater den Geruch der Leichen nicht mehr im Gedächtnis hatte", erzählt er. Sandy Kosiek ergänzt: "Es ist fast wie PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung). Sie (die Soldaten) haben viel durchgemacht, aber nie darüber gesprochen. Heute dagegen muss man in eine Psychotherapie gehen", um darüber zu reden.

Briefe an den Befreier

Albert Kosiek habe im Verlauf der Befreiung nur ein einziges Mal seine Waffe verwendet, berichtet Paul Kosiek - und zwar, als er in die Decke der Küche des Lagers Mauthausen schoss, um für Ruhe unter den aufgeregten Inhaftierten zu sorgen. Im Verlauf des Gesprächs mit der APA zeigt Paul Kosiek etliche Artefakte, die im Zusammenhang mit der Befreiung stehen, etwa Bücher mit Widmungen, vor allem aber Briefe von ehemaligen Insassen des Konzentrationslagers an Albert Kosiek. "Viele Gefangene haben ihre Häftlingsnummer am Ende ihrer Texte genannt. Sie wollten, dass die Welt weiß, dass sie Gefangene waren", sagt Paul Kosiek. Einer von ihnen habe geschrieben, er werde nie vergessen, was Albert Kosiek zu ihm gesagt habe, als dieser die Tore geöffnet habe: "'Leute, ihr seid frei'".

Ein Insasse, der am 5. Mai 1945 13 Jahre alt gewesen sei, habe versprochen, dass er zum Dank für die Befreiung der US Army beitreten würde. Dieser Mann sei später im Koreakrieg in Gefangenschaft geraten und habe danach die Medal of Honor - die höchste militärische Auszeichnung der USA - bekommen. Diese Medaille habe er Albert Kosiek gewidmet, "denn wenn mein Vater nicht gewesen wäre, wäre er nicht mehr am Leben." Jetzt versucht Paul Kosiek, dass seinem Vater die Medal of Honor verliehen werde, und nach Möglichkeit auch ein Verdienstabzeichen in Österreich.

Paul Kosiek erzählt, dass die Nazis seinen Vater damals zum Tresor des KZ gebracht hätten. Dort seien Geld und Wertgegenstände gewesen. "'Ich hätte Millionär sein können'", habe sein Vater gesagt. Doch dieser habe den Nazis befohlen, die Türen zu schließen: "'Das gehört nicht mir. Es gehört den Toten, über die die Ratten kriechen, und den Leuten, die wir gerade befreit haben', zitiert Paul Kosiek seinen Vorfahren. "Diese Art Mensch war mein Vater", schließt er. "Es ging nicht um ihn."

"Der wahre Held ist mein Vater"

Dass sein Vater ein Kriegsheld war, wusste Paul Kosiek zwar. "Aber ich kannte den Umfang nicht", sagt er bedauernd. Das sei ihm erst bewusst geworden, als sein Vater 1980 anlässlich der Befreiungsfeiern nach Österreich fuhr. 1975 war Albert Kosiek schon einmal aus demselben Anlass im Land. Damals hätten ehemalige Häftlinge ihn geküsst und seine Hemdknöpfe haben wollen.

"Ich bin sehr stolz auf meinen Vater", sagt Paul Kosiek, der heuer gemeinsam mit seiner Frau selbst an den Feierlichkeiten in Oberösterreich teilnehmen wird. Vor zwei Jahren war er auch dabei. Dabei habe er Freude und Trauer empfunden, sagt Kosiek. "Die Leute glauben, Baseball- oder Footballspieler sind Helden, aber der wahre Held ist mein Vater."

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Albert Kosiek bei einem Telekommunikationstechnikunternehmen in Chicago. Später eröffnete er ein Friseurgeschäft. Dies zu führen sei schwieriger geworden, als sich die Leute lange Haare wachsen ließen, scherzt Paul Kosiek. 1980 verstarb sein Vater.

Gefragt, ob er durch das Erstarken rechter und rechtsextremer Parteien das Erbe seines Vaters bedroht sieht, meint Paul Kosiek: "Ich hoffe nicht. Wenn Politik involviert ist, hoffe ich bei Gott, dass die Meinungsfreiheit nicht genommen wird. Eine Regierung sollte dir nicht vorschreiben, wen du unterstützen kannst oder nicht. Es gibt immer zwei Seiten, die die Leute wählen. Mein Vater würde sich für Liebe einsetzen, nicht für Hass. Wir sollten alle das Leben des jeweils anderen schätzen. Wir sind alle unterschiedlich."

"Wir feiern diese Geschichte, weil es die Wahrheit ist", sagt Kosiek. "Niemand sollte vergessen, dass das je passiert ist. Ich erinnere mich, dass mein Vater gesagt hat: 'Ich kann einfach nicht glauben, dass Menschen anderen Menschen zufügen, was ich gesehen habe.'"

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