Das Urteil war vorerst nicht rechtskräftig.
Innsbruck. Ein 74-Jähriger ist am Dienstag am Landesgericht Innsbruck vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger freigesprochen worden. Dem Mann war vorgeworfen worden, im Sommer 2009 als Feriencamp-Leiter am Achensee einen neunjährigen Buben missbraucht und sich damit zusätzlich des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses schuldig gemacht haben. Das Urteil war vorerst nicht rechtskräftig.
Es handle sich um einen "Freispruch im Zweifel", sagte Richter Norbert Hofer in seiner Urteilsbegründung. Es bleibe jedoch ein schaler Nachgeschmack, so der Richter. Im Endeffekt sei das Verfahren wegen "massiver Interventionen", etwa von Seiten eines Kinderschutz-Vereins, "kaputt gemacht worden", erklärte Hofer. Der Verein habe Einfluss auf das mutmaßliche Opfer genommen und dadurch das Verfahren "massiv beeinträchtigt", hielt er in der Urteilsbegründung fest. Dadurch könne es sein, dass die Erinnerung des heute 22-Jährigen "konstruiert" worden sei.
In seinem Schlussplädoyer hatte der Staatsanwalt dagegen davon gesprochen, dass die Aussagen des mutmaßlichen Opfers "linear" gewesen seien. "Widersprüchliche Aussagen gab es aus meiner Sicht jedenfalls nicht", so der öffentliche Ankläger, der für den Angeklagten einen Schuldspruch im Sinne der Anklage verlangte. Das sah dessen Verteidigerin anders: "Die Erinnerungen sind zum Teil schwammig". Das mutmaßliche Opfer habe "sicher etwas Unrechtes erlebt", jedoch "nicht am Achensee und nicht mit dem Angeklagten".
Unschuldsbeteuerung des Angeklagten
Ebenjener hatte sich weder im Ermittlungsverfahren noch im Oktober zu Prozessbeginn schuldig bekannt. Auch am Beginn des zweiten Prozesstages am Dienstag änderte der Wiener, der über viele Jahre hinweg Feriencamps für Kinder und Jugendliche in mehreren Bundesländern veranstaltet hatte, seine Haltung nicht: "Ich bleibe bei meinen bisherigen Aussagen". Die nach dieser neuerlichen Unschuldsbeteuerung des Angeklagten angesetzte kontradiktorische Einvernahme des mutmaßlichen Opfers fand schließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Bereits im Oktober war diese Einvernahme geplant gewesen. Es war aber schließlich zur Vertagung gekommen, weil die DVD mit der aufgezeichneten Einvernahme nicht am Landesgericht Innsbruck eingelangt war. Am damaligen Prozesstag hatte der Angeklagte und damalige Camp-Leiter die Missbrauchsvorwürfe als "unmögliche Sachen" bezeichnet. Es sei vielmehr denkbar, dass sich der besagte Missbrauchsvorfall "in der Kindheit" des Betroffenen ereignet habe und dieser diesen dann fälschlicherweise im Ferienlager am Achensee verortet habe.
Die Staatsanwältin hatte am ersten Hauptverhandlungstag hingegen keinen Zweifel daran gelassen, dass das mutmaßliche Opfer "absolut glaubwürdig ist" und sich der Vorfall am Achensee "tatsächlich ereignet" habe. "Es gibt schlicht keinen anderen plausiblen Grund, warum dieser den Angeklagten jetzt nach so vielen Jahren so massiv belasten sollte", betonte die öffentliche Anklägerin vor Gericht. Die Verteidigerin des Angeklagten zeichnete damals hingegen ein anderes Bild: "Man muss sich sehr wohl fragen, ob die Erinnerung des Betroffenen verlässlich ist".
Pädagogin entlastete Angeklagten
Eine Zeugin, die am Ferienlager am Achensee als Pädagogin mit dabei war und am ersten Verhandlungstag vernommen worden war, hatte den Angeklagten entlastet und ihn als vertrauensvollen Camp-Leiter bezeichnet. Er sei stets sehr vorsichtig und angemessen mit den Kindern umgegangen und auch das Sitzen auf seinem Schoß sei schon "zu viel gewesen". Die Vorwürfe gegen ihn seien deshalb für sie "ein Schock", so die Zeugin.
Laut Anklageschrift soll sich der 74-Jährige - nach vorangegangenem schwerem Missbrauchs in der Nacht durch einen Betreuer - am darauffolgenden Morgen ebenfalls an dem Burschen vergangen haben. Der Betreuer ließ sich von der Justiz indes nicht mehr ausforschen.