Ein noch nicht geborenes Kind mit Behinderung soll die österreichische Republik verklagen, weil diese ihn nach gültigem Recht zum "Totalschaden" degradiert.
"Unser Kind hat zwar einen Schaden, ist aber kein Schaden." So begründet das Vorarlberger Ehepaar Sabine und Andreas Karg den Umstand, dass ihr ungeborenes Kind Emil, das mit einer Behinderung zur Welt kommen wird, die Republik Österreich klagen will. Hintergrund ist das umstrittene Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH), das Eltern im März Schadenersatz für ihr behindert geborenes Kind zusprach. Gemeinsam mit dem Gynäkologen Peter Schwärzler vom LKH Feldkirch und dem Dornbirner Anwalt Paul Sutterlüty traten die werdenden Eltern am Donnerstag vor die Presse.
"Offener Rücken"
Emil, der in etwa drei Wochen
mit einem "offenen Rücken" zur Welt kommen wird, werde durch
die gültige Rechtsprechung, die ihn zum "Totalschaden" mache,
benachteiligt, so Sutterlüty. Seine Eltern könnten Schadenersatzansprüche
für den Gesamtaufwand ableiten, wenn in der pränatalen Diagnose ein Fehler
unterlaufen wäre. Das OGH-Urteil laufe darauf hinaus, dass die
Unterhaltssicherheit von der Richtigkeit der pränatalen Diagnose abhänge,
zudem könne Emil bis zur Geburt straffrei abgetrieben werden, verdeutlichte
der Anwalt.
Emils Recht auf Ehre und Achtung der Menschenwürde sowie auf Nicht-Diskriminierung und Gleichbehandlung sei daher verletzt. Daher werde eine Feststellungsklage gegen die Republik Österreich eingebracht. Um Geld gehe es dabei nicht, versicherten die Beteiligten.
"Gesetzgeber soll endlich aktiv werden"
Für das
OGH-Urteil wurde das Schadenersatzgesetz herangezogen. In solchen Fällen
müsste jedoch die Verfassung zum Tragen kommen, längerfristig sei der
Gesetzgeber gefragt, so die Forderung. "Dieser Präzedenzfall soll dazu
dienen, dass der Gesetzgeber endlich aktiv wird und die Diskriminierung von
Menschen mit Behinderung abschafft", erklärte der Anwalt. Die
bisherigen "Hilferufe" des OGH, die rechtliche Lage zu überdenken, "prallten
bis dato an den Parlamentstüren ab", so Sutterlüty.
Noch ist offen, ob Emil überhaupt klagen kann. Denn als Ungeborener ist er rechtlich nicht handlungsfähig und benötigt daher einen Kurator. "Der Antrag auf Bestellung eines Kurators beim Bezirksgericht Bregenz ist bereits eingebracht", erklärte Sutterlüty.
"Nehmen ihn an wie er ist"
Die Eltern schilderten auf
der Pressekonferenz, warum sie sich gegen eine Abtreibung Emils entschieden.
Die Untersuchungsergebnisse seien zunächst ein Schock gewesen und hätten
viele Fragen aufgeworfen, so Sabine Karg. Das Ehepaar ließ sich fünf Wochen
Zeit, nutzte Beratungsangebote, besuchte Familien mit behinderten Kindern,
dann stand fest: "Wir nehmen ihn an wie er ist", so die
33-Jährige. "Die Zeit war nicht einfach", gab Andreas Karg
zu. Sie wollten keinen Appell starten, dass es nur eine richtige
Entscheidung gebe, auch wollten sie nicht gegen die Fristenlösung oder gegen
die Möglichkeit angehen, ein Kind im Behinderungsfall abzutreiben. "Wir
wollen einfach darauf aufmerksam machen, dass ein Kind kein Schaden sein kann",
so Karg. Eltern sollten sich in so einer Situation für die Entscheidung
ausreichend Zeit lassen und Beratungsangebote nutzen, so der Appell des
werdenden Vaters.