Sogar eine Facebook-Seite war für die Afghanin tabu – auch das dürfen nur die Männer haben.
Bakhti fühlte sich daheim wie eingesperrt. Die tief religiöse muslimische Familie verbot ihr fast alles – Freundinnen, Schminken, Fortgehen, vielleicht einmal das Kopftuch abnehmen – die ältere Schwester (16) wurde zur Aufpasserin abkommandiert, die ihre Schwester sogar in die Schule brachte und wieder abholte, damit die Jüngere nur ja keine Kontakte schloss.
Clan. Doch die Einflüsse der freien Gesellschaft im Gastgeberland für die anerkannten Flüchtlinge wurden vor allem im Polytechnikum – das die 14-Jährige zuletzt besuchte – immer stärker. So stark, dass Bakhti von der Familie weg- und in ein Krisenzentrum der Stadt Wien zog. Die Eltern zeigten sich nach außen hin einsichtig und verständnisvoll und brachten dem Mädchen sogar Kleidung in die betreute Unterkunft, doch hinter der Fassade des Clans (der Vater lebt mit mehreren Brüdern in Wien) brodelte es gewaltig.
Hinrichtung. Obwohl Bakhtis älterer Bruder Hikmatullah (18) jede Tötungsabsicht abstreitet und im Gespräch mit seiner Anwältin Astrid Wagner weder das Wort „Schande“ noch „Ehrenmord“ zu verstehen vorgibt – „respektlos“ dagegen kennt er sehr wohl –, dürfte er genau aus diesem Motiv heraus gehandelt haben. Mit 13 Messerstichen richtete er seine Schwester Montag im Hof einer Wohnhausanlage in Favoriten hin. Obschon er auch das abstreitet, lauerte er der 14-Jährigen am Reumannplatz auf. „Die Eltern haben nur wegen ihr geweint. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie jetzt nach Hause bringen werde. Doch das wollte sie nicht.“ Dann ist es passiert. Es gilt die Unschuldsvermutung. (kor)
»Sie hat mich gestoßen und das war respektlos«
In U-Haft weint der 18-jährige Messertäter seiner Schwester keine Träne nach.
Die Zelle teilt sich Hikmatullah S., über den Mittwoch die U-Haft verhängt wurde, mit zwei Irakern, die er nicht versteht, und das gefällt dem Paschtunen nicht. Der 18-Jährige, der von der Arbeitslosen und mehr bei Freunden als bei der Familie lebte (was er im Gegensatz zu seiner Schwester durfte), zeigt keine Emotionen. Nur, dass die Tat nicht geplant gewesen sei, betont er immer wieder. „Ich traf sie zufällig“, sagt er zu seiner Anwältin. „Wir stritten und sie hat mich gestoßen, das war respektlos. Das macht man mit einem Bruder nicht.“ Da zog er das Messer – das er übrigens „wegen der Tschetschenen immer mit sich führt“ – und stach unbarmherzig zu.
Interview: Sozialarbeiterin Petra Mandl: "Sie flüchtete schon im Sommer vor der Familie"
ÖSTERREICH: Als das Mädchen zu Ihnen kam, welche Gründe nannte sie?
Petra Mandl: Die Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Sie wurde von ihrer Familie immer kontrolliert. Sie durfte nicht fortgehen. Ihre Schwester wurde ihr als Aufpasserin zur Seite gestellt. Das alles war für sie zu viel an Druck.
ÖSTERREICH: Hat sie konkret Angst vor jemanden in der Familie geäußert?
Mandl: Hat sie nicht. Das wäre möglicherweise später gekommen. Die Zeit war leider nicht mehr da, dass wir das erarbeiten hätten können.
ÖSTERREICH: Aber sie war nicht das erste Mal bei Ihnen in Betreuung?
Mandl: Sie war schon im Sommer bei uns, da waren die Gründe ähnlich. Damals hat sie nach einigen Gesprächen gesagt, sie geht nach Hause.
ÖSTERREICH: Wäre dieser tragische Tod irgendwie zu verhindern gewesen?
Mandl: In der sozialen Arbeit gibt es immer ein Restrisiko, wir können nicht in die Menschen hineinschauen. Wir können nur Hilfe und Schutz anbieten. Man kann nie irgendwas ausschließen.