Ein Iraker tötete seine Frau und machte jetzt vor Gericht Notwehrsituation geltend.
Ein 40-jähriger Mann, der am 8. September 2018 in Wien-Leopoldstadt seine Verlobte erstochen hat, ist am Dienstag am Landesgericht zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Schuldspruch wegen Mordes fiel einstimmig aus. Der gebürtige Iraker war damit nicht einverstanden. "Die Strafe ist zu hoch", befand er. Er meldete Berufung an. Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig.
Nach der Urteilsverkündung sorgte der gebürtige Iraker, der sich im Tatzeitpunkt eigentlich längst außerhalb der Landesgrenzen befinden hätte müssen - nach zwei Verurteilungen war ihm im Mai 2017 das Aufenthaltsrecht entzogen worden, nachdem er zuvor schon einen ersten rechtskräftigen Abschiebebescheid ignoriert und einen erneuten Asylantrag gestellt hatte - für Erstaunen. "Ich kann nicht mehr in meine Heimat zurückkehren", sagte er. Die vorsitzende Richterin Eva Brandstetter kündigte darauf an, sie werde dem Bundesverwaltungsgerichtshof diese Wortmeldung zur Kenntnis bringen, wo sich der Iraker gegen die Aberkennung seines Bleiberechts beschwert hatte.
Zuvor pochte der Angeklagte auf Notwehrsituation
Eine überraschende Verantwortung hat ein 40-jähriger Mann am Dienstag am Wiener Landesgericht präsentiert, wo er sich wegen Mordes an seiner Verlobten zu verantworten hatte. Der Angeklagte, der sich während des Ermittlungsverfahrens nicht zur Bluttat geäußert hatte, behauptete, die 50-Jährige habe ihn zunächst aus dem Fenster stoßen und dann "abstechen" wollen. Da sei er wütend geworden.
"Sie war eine sehr, sehr gute Frau für mich", betonte der Angeklagte eingangs der Verhandlung. Als er im vergangenen Sommer bei ihr eingezogen war, sei sie aber zusehends aggressiv geworden. Sie habe mit ihm keinen Sex mehr haben wollen und einen anderen Mann gehabt. Er habe sich von ihr aber nicht trennen können, weil er mit ihr nach islamischem Recht verheiratet war, erzählte der gebürtige Iraker, der 2004 mit seinen Eltern nach Österreich geflüchtet war. Außerdem habe er "diese Frau sehr geliebt".
"Sie hat versucht, mich dauernd zu beleidigen", lamentierte der Angeklagte. "Du hast auf der Brust keine Haare", habe die um zehn Jahre ältere Frau immer wieder gesagt, "du bist kein richtiger Mann". Weil sie am 8. September einen anderen Mann in ihrer Wohnung in der Leopoldstadt erwartete und er diese nicht verlassen wollte, habe sie ihm von hinten einen Stoß gegeben, "damit ich aus dem Fenster falle", meinte der Angeklagte. Als ihr das nicht gelang, habe sie ein Messer gezückt: "Sie wollte mich mit dem Messer abstechen. Ich habe gesagt, bitte gib mir das Messer."
Er habe Angst gehabt, sei dann aber zornig geworden: "Ich war ganz blind." Dann habe er schon "Blut gesehen". "Ich wollte sie nicht umbringen", versicherte der Iraker.
Diese Darstellung widersprach diametral der Anklage, die sich auf Zeugen und die Spurenlage am Tatort stützte. Derzufolge fand sich auf drei verschiedenen Küchenmessern das Blut der Getöteten. Ein Hausbewohner hatte wiederum vom Stiegenhaus aus gesehen, wie der bewaffnete Angeklagte bei geöffneter Wohnungstür auf die Frau losging, die verzweifelt um Hilfe schrie. "Rettet mich! Er will mich abschlachten!", brüllte die Frau.
Der Iraker war erst wenige Wochen zuvor bei der Frau eingezogen. Obwohl sie ihm das Ja-Wort geben wollte, kam es immer wieder zu Streitigkeiten. Nachbarn beschwerten sich, weil ihre Kinder aufgrund der lautstark geführten Auseinandersetzungen nicht schlafen konnten. Der 50-Jährigen passte nicht, dass ihr Partner nur untätig zu Hause saß, dem Alkohol zusprach und Cannabis konsumierte, während sie arbeiten ging. Sie wollte sich schließlich von ihm trennen, was sie mit ihrem Leben bezahlt habe, wie Staatsanwältin Julia Koffler-Pock darlegte. Die Anklägerin bezeichnete das inkriminierte Geschehen als "eine der vielen Beziehungstaten, bei der wieder einmal die Frau die Beziehung beenden will, der Mann das wieder einmal nicht akzeptiert und wieder einmal der Mann die Frau brutal hinrichtet".
Mann hätte Haftstrafe verbüßen müssen
Der Anklage zufolge ließ der Iraker selbst dann nicht von der 50-Jährigen ab, nachdem sie rücklings zu Boden gestürzt war. Wie die Obduktion ergab, fügte er ihr vier tiefe Stichwunden im Hals- und Brustbereich und acht Schnitt- und Stichverletzungen am Oberbauch und an der Flanke zu. Die 50-Jährige erstickte an ihrem eigenen Blut, bevor die von Hausbewohnern alarmierten Rettungskräfte eintrafen.
Dabei hätte sich der Iraker nach drei rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen - 2010 hatte er wegen versuchter schwerer Erpressung zwei Jahre teilbedingt, 2016 wegen Schlepperei ein Jahr teilbedingt und im August 2017 wegen Körperverletzung neun Monate unbedingt ausgefasst - im Tatzeitpunkt eigentlich im Gefängnis befinden müssen. Im Jänner 2018 war ihm die Aufforderung zum Strafantritt zugestellt worden.
Er beantragte daraufhin einen Strafaufschub, indem er unter Verweis auf eine vorgeblich mittelgradige depressive Verstimmung und eine posttraumatische Belastungsstörung Vollzugsuntauglichkeit geltend machte. Die Justiz ließ ein psychiatrisches Gutachten einholen, das dem Mann Vollzugstauglichkeit bescheinigte. Diesen Beschluss bekämpfte der Iraker beim Oberlandesgericht, am 24. Juli wurde der Strafaufschub endgültig abgelehnt. Statt seine Strafe anzutreten, tauchte der Iraker unter - wie sich im Nachhinein herausstellte, indem er unangemeldet bei der später Getöteten einzog.
Der gegenständliche Fall belegt außerdem, dass sich nach dem Fremdengesetz gesetzte behördliche Maßnahmen oft jahrelang nicht umsetzen lassen. Der Asylantrag des Irakers war 2005 abgewiesen worden, weil das Bundesamt für Asyl- und Fremdenwesen (BAF) die vorgebrachten Fluchtgründe für nicht glaubwürdig hielt. Die an sich vorgesehene Abschiebung war aber nicht durchführbar, weshalb dem Mann ein bis März 2011 befristetes Aufenthaltsrecht zugestanden wurde.
Nach seiner ersten gerichtlichen Verurteilung wurden ihm der subsidiäre Schutz und die Aufenthaltsberechtigung entzogen. Er wurde in den Irak ausgewiesen. Dem kam der Iraker nicht nach. Im August 2014 brachte er einen neuen Asylantrag ein und erklärte, er wäre nicht in den Irak zurückgekehrt, weil er Angst habe, dort getötet zu werden. Neue Asylgründe machte der Mann nicht geltend. Er gab lediglich an, er wolle eine Frau heiraten und leide unter Panikattacken und Angstzuständen.
Dessen ungeachtet wurde ihm am 4. Mai 2017 das Aufenthaltsrecht entzogen, weil das BAF keinen entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellen konnte. Gegen die aufenthaltsbeendende Maßnahme legte der Iraker Beschwerde ein, der am 19. Mai 2017 aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Seither ist beim Bundesverwaltungsgerichtshof ein Beschwerdeverfahren anhängig.
"Im Asylverfahren hat er vorgebracht, dass er im Irak Angst hat, dass er getötet wird. Letzten Endes ist er selbst zum Mörder geworden", hielt Staatsanwältin Julia Koffler-Pock fest.