Appell für mehr Gemeinsamkeit und Zusammenhalt

Caritas-Chef Landau: "Schlangen vor den Suppen-Bussen"

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Caritas-Präsident Michael Landau fordert eine Anhebung von Sozialleistungen, es gebe immer mehr Menschen, die durch die Teuerung unter die Räder kommen. Das große Interview zu Weihnachten.

ÖSTERREICH: Es war ein krisengeschütteltes Jahr, wie blicken sie als Caritas-Chef auf 2022 zurück?

MICHAEL LANDAU: Wir erleben die größte Teuerungswelle seit 70 Jahren. Die Not in Österreich nimmt zu. Die Schlangen bei den Suppenbussen werden länger, und zu uns kommen Menschen, die nie gedacht hätten, dass sie eines Tages Hilfe brauchen. Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Rettungspakete für die Wirtschaft sind wichtig, jetzt braucht es aber ebenso einen Rettungsschirm für Menschen in Not. Wir sehen aber auch viel Zusammenhalt und Solidarität. Das stimmt mich – trotz der Krisen – zuversichtlich.

ÖSTERREICH: Die Teuerung macht das Leben für viele nicht mehr leistbar, zuletzt ging die Inflation etwas zurück, haben wir das Schlimmste überstanden? Wie schlimm steht es aktuell ihrer Meinung nach?

LANDAU: Das kommende Jahr wird uns noch einiges abverlangen. Aber wir werden es bewältigen, wenn wir zusammenstehen, anpacken und auf die Schwächsten nicht vergessen. Klar ist auch: Durch eine Krise kommt man nur gemeinsam.

ÖSTERREICH: Kommt von der Regierung genügend Unterstützung?

LANDAU: Ich denke, die Bundesregierung hat einiges richtig gemacht. Auch im internationalen Vergleich. Österreich kann Krise. Aber Einmalzahlungen können strukturelle Verbesserungen nicht ersetzen – auch die Inflation schlägt ja nicht nur einmal, sondern mit jeder Rechnung, mit jedem Einkauf zu. Wir brauchen deshalb jetzt auch eine Erhöhung der Notstandshilfe, ein armutsfestes Arbeitslosengeld oder eine substanzielle Anhebung der Mindestpension sowie die Reform der Sozialhilfe.

ÖSTERREICH: Die hohen Asylzahlen, gepaart mit fast 60.000 Ukrainer in der Grundversorgung führten zu Unterbringungskrise: Ihre Organisation ist auch in der Flüchtlingsunterbringung involviert, was muss hier passieren?

LANDAU: Wenn Bund und Länder zusammenarbeiten, muss es auch ohne Zelte gehen. Grundsätzlich leistet Österreich einen großen Beitrag in der Versorgung von Menschen aus der Ukraine. Wobei da auch die Nachbarländer – Polen, Moldau, etc. – wirklich viel tun. Der Großteil der Ukrainer*innen wird dabei privat, in Haushalten, Familien, Wohnungen, untergebracht. Bund und Länder wären ohne diese Unterstützung völlig überfordert. Man darf deshalb die, die als Private helfen, nicht im Stich lassen. Wir haben dazu bereits vor Wochen gemeinsam mit anderen Organisationen einen 7-Punkte-Plan gegen die Unterbringungskrise präsentiert. D.h. hier gibt es Vorschläge und Lösungen, sie müssen nur umgesetzt werden.

ÖSTERREICH: Immer mehr Stimmen in der Politik fordern einen Asyl-Stopp, wie stehen Sie zu solchen Forderungen?

LANDAU: Ich verstehe alle, die sagen, wir müssen wissen, wer kommt, und die sich für europäische Lösungen einsetzen. Zugleich denke ich, dass Menschen, die in Europa, auch in Österreich, Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, diesen Schutz auch finden müssen. Damit die Länder an den Außengrenzen dabei nicht überfordert werden, braucht es ein gemeinsames, funktionierendes europäisches System. Und bis dahin eben rasche, faire, qualitätsvolle Asylverfahren, wobei Österreich da etliches verbessert hat, und wohl ebenso eine bessere Unterscheidung zwischen Zuwanderung und Asyl.

ÖSTERREICH: Die Politik ist in der Vertrauenskrise, viele beklagen darüber hinaus fehlenden gesellschaftlichen Zusammenhalt, sind wir weniger solidarisch als früher? Durch die Krisen? Abgehärtet?

LANDAU: Wir sehen große Solidarität. Gleichzeitig werde ich nicht müde, um Zusammenhalt und Zuversicht zu werben. Es kommt auf jede und jeden Einzelnen an. Von der Politik erwarte ich mir eine Vorbildfunktion – einen respektvollen und verantwortungsvollen Umgang.

ÖSTERREICH: Die Feiertage und Weihnachten bringen viele an ihre finanziellen Grenzen und darüber hinaus, wie wird die Caritas hier aktuell tätig? Wie kann man spenden, helfen?

LANDAU: Zu Weihnachten wird die Not nochmals offensichtlicher. Die Armut tut nochmals mehr weh, wenn Eltern ihren Kindern zu Weihnachten gar nichts schenken können. Hier darf ich mich sehr herzlich bei den diesjährigen Helferinnen und Helfern der Caritas-Christkindbriefaktion bedanken – so können wir heuer 13.500 Weihnachtswünsche erfüllen. Und wer noch ein sinnvolles Last-Minute-Geschenke sucht, findet sicher etwas auf shop.caritas.at

ÖSTERREICH: In wenigen Tagen starten wir ins neue Jahr, welche Neujahrsvorsätze würden Sie sich von der Politik und/oder den Österreichern generell wünschen?

LANDAU: Ich wünsche mir einen politischen Klimawandel - eine Kultur des Respekts und des Dialogs. Denn die Krisen unserer Zeit können wir nur gemeinsam lösen.
 

Das Gespräch führte Johannes Reichmann

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