Innenminister im Interview

Nehammer: ''Cobra und Drohne an die Grenze''

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Innenminister Karl Nehammer über Österreichs Beitrag in der Flüchtlingsfrage.

ÖSTERREICH: Herr Innenminister, bekommt die EU diese Situation in den Griff?

Karl Nehammer: Wir haben derzeit zwei Krisenstäbe im Innenministerium: einen im Kampf gegen das Corona­virus, einen bezüglich der Migrationssituation. Wir sind in laufender Abstimmung mit dem griechischen Innen- und Integrationsminister. Ich habe erst am Freitagabend wieder mit ihm telefoniert. Er ist sehr besorgt und glaubt, dass Recep Erdoğan die Situation weiter provozieren wird.

ÖSTERREICH: Sie meinen, dass Erdoğan weitere Migranten oder Flüchtlinge an die Grenze schickt?

Nehammer: Ja. Die Türkei schickt ganz bewusst Mi­granten an die türkische Grenze. Und zwar nur an diese Grenze und nicht an die bulgarische Grenze, wie uns die Bulgaren berichten. Das sind bewusste Aktionen von Erdoğan. Was mich aber beeindruckt, ist die extrem intensive und gute Kommu­nikation zwischen Griechenland und uns, zwischen allen EU-Staaten und auch zwischen den Staaten und der EU-Kommission. Da gibt es ein entschlossenes und gemeinsames Vorgehen.

ÖSTERREICH: Das wäre eher neu. Die EU ist in Fragen der Migration ja eher gespalten, oder?

Nehammer: Ich kann nur sagen, dass die Zusammenarbeit hier hervorragend funktioniert. Dass die Griechen ihre und damit unser aller Grenzen schützen und bislang alle Angaben, die sie gemacht haben, stimmen. Die EU spricht mit einer Stimme, und das ist sicher etwas, das Erdoğan überrascht hat.

ÖSTERREICH: Trotzdem wird Griechenland das nicht alleine – weder den Grenzschutz noch die Versorgung der Flüchtlinge auf seinen Inseln – stemmen können, oder?

Nehammer: Wir wollen hier echte Solidarität mit Griechenland leben. Da reichen Worte nicht, da braucht es Taten. Daher bin ich auch in enger Absprache mit Griechenland. Wir schnüren Hilfspakete – Ausrüstung, Grenzpolizisten, je nachdem, was die griechischen Behörden uns angeben. In Absprache mit dem Bundeskanzler wollen wir jetzt auch 13 Cobra-Beamte mit einem gepanzerten Fahrzeug und eine Drohne an die griechische Grenze schicken sowie eine Million Euro an humanitärer Hilfe zur Verfügung stellen.

ÖSTERREICH: Es gibt Videos, die zeigen, wie die griechische Polizei Flüchtlingsboote brutal abdrängt …

Nehammer: Diese Bilder haben wir alle gesehen. Es gibt Informationen, dass die türkische Marine diese Videos bewusst dreht. Die Türkei versucht hier gezielt, Mi­granten als Spielball und Druckmittel zu verwenden, und verbreitet immer wieder Fake News.

ÖSTERREICH: Wie will die EU diesen Konflikt jetzt mit Erdo­ğan lösen? Der EU-Türkei-Deal soll ja weiter halten, oder?

Nehammer: Das Ziel ist, dass der Deal weiter hält. Aber die Forderung von Erdoğan, der türkischen Regierung das Geld direkt zu überweisen – 3,3 Milliarden wurden von den ausgemachten sechs Milliarden Euro bereits abgerufen –, kann Europa nicht akzeptieren. Die Türkei ist ja derzeit in militärische Auseinandersetzungen im syrischen Idlib und in Libyen involviert. Krieg kostet viel Geld. Und die EU wird sicher nicht Erdoğans Kriege finanzieren.

Interview: Isabelle Daniel

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