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Karl Nehammer im Interview

Kanzler: ''Gegen Symbol-Politik des Verzichts''

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Karl Nehammer über die Krisen in seinem ersten Jahr als Kanzler. Das ganze Interview heute um 21:00 Uhr auf oe24.TV. 

oe24.TV: Die Teuerung ist großes Thema Ihrer Kanzlerschaft. Deutschland führt die Gaspreisbremse ein. Das könnte Österreichs Firmen und Haushalte benachteiligen. Ist eine Gaspreisbremse auch für Sie vorstellbar?

Karl Nehammer: Auf jeden Fall, weil Ziel ist erstens immer der Wirtschaftsstandort, das beinhaltet Arbeitsplätze und Wohlstand. Wir selbst haben mit Energiekostenzuschuss und Strompreiskompensation für Unternehmen, höherem Familienbonus und doppelter Familienbeihilfe im August und der ökosozialen Steuerreform mit Abschaffung der kalten Progression schon viel auf den Weg gebracht.

oe24.TV: Die Landeshauptleute würden eine Verschiebung der höheren CO2-Steuer vorziehen. Denkbar?

Nehammer: Man muss sich alle Themenfelder ansehen. Wir haben mit Antiteuerungsbonus und Klimabonus in Kombination die CO2-Bepreisung sehr gut abgedämpft. Zum anderen gilt ab 1. Dezember die Strompreisbremse.

oe24.TV: Deutschland droht eine Rezession – sind Sie darauf vorbereitet?

Nehammer: Wir hängen unmittelbar an der deutschen Industrie und Wirtschaft, haben im Moment Rekordbeschäftigung, aber wir müssen jetzt vorsichtig sein und nach Deutschland schauen, wie sich die Lage entwickelt.

oe24.TV: In Zeiten der Teuerung erhalten Politiker eine Lohn-Erhöhung um 5,3 %. Ist eine Erhöhung von über 1.000 Euro für Spitzenpolitiker nicht ein seltsames Zeichen?

Nehammer: Es ist aus meiner Sicht wichtig, sich an die Lohn-Pyramide zu halten, die schafft auch Transparenz und Klarheit. Und: Diese Symbolpolitik des Verzichts würde nichts daran ändern, dass jemand ein soziales Problem hat. Das heißt, ich muss demjenigen, der das soziale Problem hat, wirklich helfen, Deshalb gibt es Teuerungshilfen. Das ist echte Hilfe und keine Symboldiskussion.

oe24.TV: Die ÖVP hat früh vor steigender Migration gewarnt. Sie fanden Kritik an diesen Warnungen ungerecht. Aber haben Sie damit nicht auch der FPÖ den Boden aufbereitet, die jetzt in Umfragen aufholt?

Nehammer: Wenn man ein Problem hat, soll man es auch benennen. Jetzt sind wir in einer Situation, wo wir 100.000 Aufgriffe haben und von den 100.000 sind 75.000 nicht registriert. Was tun wir dagegen? Wir sprechen auf EU-Ebene, sind gegen eine Schengenerweiterung. Wir kooperieren mit dem West-Balkan. Ich habe Serbiens Präsidenten getroffen, weil es wichtig ist, dass die Visa-Liberalisierung zurückgenommen wird. Jetzt kommen schon weniger Tunesier bei uns an. Es braucht das EU-Außengrenzverfahren, das durchgeführt wird und dann – wenn einer nicht bleiben darf – rasch abgeschoben werden kann.

oe24.TV: Ex-Kanzler Vranitzky sagt, sich mit Viktor Orbán zu verbünden, sei keine gute Idee ...

Nehammer: Der Altbundeskanzler weiß auch, aus seiner eigenen Erfahrung, es gibt manchmal Notwendigkeiten, die getan werden müssen. Ungarn ist unser Nachbar. Es ist sicherheitspolitisch wichtig, dass wir mit Ungarn eng kooperieren. Deswegen diese gemeinsamen Polizeistreifen, die gemeinsamen Initiativen. Ungarn verstößt gegen EU-Recht, auch in der Frage des Asylverfahrens, deswegen sind wir auch da belastet, das heißt: Ja, wir haben auf der einen Seite eine Belastung von Seiten Ungarns, aber auch gleichzeitig eine polizeiliche Kooperation.

oe24.TV: Ein Jahr Karl Nehammer bedeutet auch – teilweise können Sie nichts dafür – ein Jahr ÖVP-Affären. Einige in Ihrer Partei wünschen sich zumindest im Hintergrund einen Befreiungsschlag. Distanzieren Sie sich von Sebastian Kurz?

Nehammer: Also auch da, ein klares Bekenntnis: Was Sebastian Kurz in der Politik der Volkspartei geleistet hat, das ist tatsächlich bemerkenswert. Die Volkspartei ist unter seiner Obmannschaft wieder eine breite Volkspartei geworden. Hier die Politik zu ändern, würde der ÖVP schaden. Wir müssen dort benennen, wo Fehler passiert sind, dass sie passiert sind. Wir müssen Sorge tragen, dass sie nicht wieder passieren. Aber jemanden über Bausch und Bogen verurteilen? Nein.

oe24.TV: Warum haben Sie den engen Vertrauten von Kurz – Gerald Fleischmann – als Kommunikationschef geholt? Ist die Message der ÖVP „out of control“?

Nehammer: Ich kenne Gerald Fleischmann länger als Sebastian Kurz. Wir kennen uns seit 2007. Da habe ich in der ÖVP-Bundespartei begonnen und er war schon ­damals Pressesprecher vom Generalsekretär. Ich schätze seine kommunikativen Fähigkeiten. Professionelle Kommunikation ist gerade jetzt, wo die ÖVP viele Herausforderungen hat, von großer Bedeutung.
Interview: Isabelle Daniel 

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