Kanzler Nehammer und EU-Spitzen auf Blitzbesuch in Kairo. Es geht um frisches Geld für einen Asyl-Deal. Denn Ägypten steht vor dem Kollaps. Nehammer: "Die Sicherheit Europas hängt maßgeblich von der Sicherheit unserer Nachbarn ab".
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist am Sonntag zu einem eintägigen Besuch in Kairo eingetroffen. In der ägyptischen Hauptstadt soll mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Regierungschefin Italiens, Giorgia Meloni, sowie den Amtskollegen Kyriakos Mitsotakis (Griechenland) und Alexander De Croo (EU-Vorsitzland Belgien) ein Migrationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Ägypten abgeschlossen werden.
7,4 Milliarden Euro Deal
Der Deal zum Migrationsabkommen ist der EU 7,4 Milliarden Euro wert. Laut Bundeskanzleramt soll diese Summe bis 2027 in das rund 110 Millionen Einwohner zählende Land am Nil fließen.
Kanzler: Ägypten hat jedes Jahr eine Million Menschen mehr
Dieses habe auch mit einem ständigen Bevölkerungswachstum zu tun, erinnerte Nehammer am Hinflug gegenüber österreichischen Journalisten. "Jedes Jahr kommt eine Million (Menschen, Anm.) dazu."
In dem Finanzpaket enthalten seien Zuschüsse für bilaterale (400 Millionen) und migrationsspezifische Projekte (200 Millionen) wie der Betreuung von Drittstaatsangehörigen oder dem Grenzschutz. Fünf Milliarden werden in Tranchen als Makrofinanzhilfe in Darlehen ausbezahlt, 1,8 Milliarden für Investments zur Verfügung gestellt.
Sieben Millionen innerafrikanische Flüchtlinge im Land
Allein in Ägypten leben laut Schätzungen um die sechs bis sieben Millionen innerafrikanische Flüchtlinge (vor allem aus dem Sudan, Äthiopien und Eritrea), offiziell liegen die Zahlen allerdings weit darunter. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) hat knapp 500.000 Personen mit anerkanntem Flüchtlingsstatus registriert. Zuletzt war auch die Zahl der Migranten, die von Libyen aus nach Griechenland und damit in die EU übersetzen wollen, im Steigen begriffen.
Griechen schlagen Alarm
Die griechische Regierung drückte jüngst ihre Sorge über die zunehmenden Ankünfte von Migranten ägyptischer Herkunft aus. Diese benutzen eine neue Flüchtlingsroute, die vom libyschen Mittelmeerhafen Tobruk aus in Richtung der Insel Kreta führt. Das UNHCR registrierte in diesem Jahr bereits mehr als 1.000 Menschen, die von Tobruk aus auf der Kreta vorgelagerten Insel Gavdos ankamen. Die meisten von ihnen stammen den Berichten zufolge aus Ägypten.
Ägypten steht vor dem Kollaps
"Die Sicherheit Europas ist maßgeblich von der Sicherheit unserer Nachbarn abhängig", so Nehammer. Ägypten sei der bedeutendste Stabilitätsfaktor in Nordafrika und ein verlässlicher Partner beim Eindämmen illegaler Migration. "Ich setze mich daher seit Jahren für effektive Abkommen ein, gerade mit den Partnern in Nordafrika, um illegale Migration in die EU und nach Österreich zu verhindern und Stabilität, wirtschaftliche Perspektiven und Sicherheit vor Ort zu schaffen.
Die wirtschaftliche Lage Ägyptens droht sich aufgrund der Konflikte in der Ukraine (gestiegene Getreidepreise), im Sudan und im Gazastreifen zu verschlechtern, wodurch wiederum die Migrationszahlen nach Europa steigen könnten. Ägypten steht vor dem Kollaps.
Unterbringung von Migranten vor Ort
Ein wesentlicher Schwerpunkt soll im EU-Ägypten-Deal auf die Unterstützung bei der Unterbringung von Migrantinnen und Migranten vor Ort gelegt werden. Aber auch die Bereiche "Wirtschaft, Handel und Investition, Sicherheit und Kampf gegen Terrorismus, sowie Demografie und Humankapital" sind demnach darin enthalten.
Sicherheit. Ziel des Pakts sei auch "eine umfassende und strategische Partnerschaft zwischen EU und Ägypten mit dem Ziel der Sicherheit und Stabilität vor Ort". Die zur Unterzeichnung geplante gemeinsame Erklärung zu diesem umfassenden Abkommen werde als "wichtiger Schritt" gesehen, um die Beziehungen der EU mit Ägypten auf das Level einer "umfassenden strategischen Partnerschaft" zu heben. Dafür sind künftig auch alle zwei Jahre gemeinsame Treffen auf höchster Ebene geplant,
Energie. Geplant ist eine "Unterstützung in verschiedenen Bereichen wie Erneuerbare Energien, grüner Wasserstoff, Industrialisierung, Digitalisierung, Landwirtschaft und Wasserversorgung". Die EU plant über den European Fund for Sustainable Development, europäische Finanzinstitute und EU-Mitgliedsstaaten Investitionen von bis zu neun Mrd. Euro bis 2027 zu generieren.
Legale Migration unterstützen
In Migrationsfragen wird ein "ganzheitlicher Ansatz" angestrebt. Dazu zählen "die Unterstützung legaler Migrationswege" sowie der "Ausbau von Mobilitätsprogrammen" wie den "Talent Partnerships". Zudem sollen Programme für die "Kooperation zur Bekämpfung von Ursachen irregulärer Migration" und die "Stärkung des Grenzmanagements" oder "Anti-Smuggling" sowie zur Förderung der Rückkehr ("freiwillig und zwangsweise") samt Reintegration gestärkt werden. Auch auf bilateraler Ebene sind aktuell Verhandlungen über eine "effektive Rückübernahmekooperation" im Gange.
FPÖ kritisiert
Kritik an dem Deal kam von der FPÖ. "Offenbar handelt es sich wie zuvor bei der Türkei und Tunesien um einen Marketing-Gag als Beruhigungspille vor der EU-Wahl", teilte der FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilimsky am Sonntag in einer Aussendung mit. "Unter dem Motto ,Am Abend wird der Faule fleißig ́ versucht man jetzt, einen drohenden Mega-Wahlverlust zu verhindern, obwohl jedem klar ist, dass bisher keine einzige Maßnahme der EU zu einer Lösung des illegalen Migrationsproblems geführt hat. Und so wird es auch diesmal sein."
EU-Deals mit Mauretanien, der Türkei und Tunesien
Ähnliche Deals hatte die EU bereits mit Mauretanien, der Türkei und Tunesien geschlossen. Letzterem avisierte die EU-Kommission im Vorjahr Finanzhilfe von bis zu 900 Millionen Euro, damit es stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgeht. Auf diese Vereinbarung hatte vor allem Italien gedrängt, das Hauptziel von Migrantenbooten aus Tunesien ist. Bezüglich der tatsächlichen Auszahlung kam es in Folge zu Streitigkeiten zwischen Tunis und Brüssel.
"Drecksarbeit für die EU erledigen"
Kritik. Der Tunesien-Deal sei "überhaupt nicht nachhaltig", bemängelte die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im Juli 2023 im APA-Interview. "Man bezahlt viel Steuergeld dafür, dass Tunesien die Drecksarbeit für die EU erledigt." Brüssel mache sich so erpressbar. Auch die geplante Vereinbarung mit Ägypten wird von NGO-Vertretern und Migrationsexperten mit Argwohn betrachtet. Flüchtlingsorganisationen sehen den Schutz der Menschenrechte nicht gewahrt. Migranten würden bei ihrer Flucht in Folge bloß auf "gefährlichere Routen" ausweichen.
Kanzler räumt Fehler ein
Nehammer sagte am Sonntag: „Ich setze mich seit Jahren für Partnerschaften auf Augenhöhe ein. Denn wir haben oft und lange als EU auch den Fehler gemacht, „von oben herab“ zu agieren. Das bringt uns aber unseren Zielen nicht näher. Im Gegenteil: Es wäre gefährlich für unsere Sicherheit. Was wir brauchen, sind Abkommen, die für beide Seite gewinnbringend sind. Gerade deshalb ist dieses neue EU-Ägypten-Abkommen wesentlich für die Sicherheit Europas. Es umfasst neben Migration auch andere wichtige Bereiche der Kooperation, u.a. Wirtschaft, Energie und Investitionen bzw. Terrorismusbekämpfung. Daher sehe ich es als erfolgsversprechend."
"Es ist ein wichtiger Schritt, aber wir dürfen uns deshalb nicht ausruhen. Im Gegenteil: Im Kampf gegen illegale Migration müssen wir in der EU alle Hebel in Bewegung setzen, Tabus brechen und neue Wege gehen. Das Ziel muss sein, dass wir Asylverfahren in sicheren Drittstaaten durchführen und auch Abschiebungen in sichere Drittstaaten durchführen können. Ich werde mit einer Reihe gleichgesinnter Partner in der EU weiter dafür kämpfen.“