Auf Social-Media-Plattformen kritisiert, von Kabarettisten parodiert: Karl Nehammer ist der „Bad Guy“ in der Corona-Dramaturgie der Bundesregierung.
Wien. Für Robert Misik, den Buchautor und Redenschreiber des früheren SPÖ-Kanzlers Christian Kern, ist der Innenminister „zu hart“, er solle „auch nicht so schreien“. Die Mehrheit der Österreicher findet allerdings, dass Karl Nehammer (48) einen guten Job macht: geradlinig, konkret, den Ernst der Lage im aktuellen Corona-Lockdown korrekt betonend.
Der verheiratete Vater von zwei Teenagern und Jagdhundbesitzer nimmt sachliche Kritik durchaus ernst, aber verdrängt die Beschimpfungen via Internet, verrät der Minister im Gespräch unter Freunden: „Wenn man das alles lesen würde … Nein, das geht gar nicht.“
Klare Worte des Ministers zur Gruppe der Corona-Leugner
Empfehlung. Bei der Dauerbelastung seit März, seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Österreich, findet der Ex-ÖVP-Generalsekretär bei Spaziergängen mit seiner Gebirgsschweißhündin etwas Ruhe – bis zur nächsten SMS von seinem Führungsstab im Palais Modena in der Wiener Herrengasse.
Im großen Interview mit dem INSIDER liefert der Innenminister auch eine deutliche Ansage an die Gruppe der Corona-Leugner, die immer wieder zu Demonstrationen aufruft: „Ich empfehle jedem dieser Damen und Herren, mit jemanden zu sprechen, der an Corona erkrankt war. Das könnte sehr heilsam sein – wenn ich dieses Wort in diesem Zusammenhang verwenden darf.“
Was Karl Nehammer über den Lockdown, die Kriminalität und die Virus-Leugner sagt:
INSIDER Sie haben als Innenminister stets die neuesten Informationen aus dem Krisenstab über die aktuelle Corona-Situation in Österreich – müssen wir jetzt, in dieser Situation, alle besorgt sein?
Karl Nehammer: Wir, die gesamte Bundesregierung, machen kein Hehl daraus, dass die Situation eine ernste ist. Die Sorgen der Menschen sind nachvollziehbar. Es kann aber auch jeder seinen Beitrag leisten, um unser Zusammenleben sicherer zu machen, indem er sich an die notwendigen Beschränkungen hält.
Insider: Noch härtere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind nun bereits bundesweit umgesetzt worden – ist diese Pauschalbeurteilung wirklich hilfreich? Ist es gut, wenn ein kleiner Ort in Vorarlberg, etwa Hittisau, dieselben Beschränkungen ertragen muss wie Wien-Favoriten?
Nehammer: Die Corona-Pandemie hat eine Entwicklung genommen, die bundesweit einheitliche Maßnahmen erforderlich macht.
INSIDER: War nicht noch vor wenigen Wochen angedacht, dass die Maßnahmen regional verschärft werden sollen, eben dort, wo Cluster auftauchen?
Nehammer: Wir beurteilen die Lage täglich, und die Entwicklung der letzten beiden Wochen hat bei allen die Alarmglocken schrillen lassen. Wir stehen an einem Punkt, wo rasches und konsequentes Handeln notwendig ist – und auch Maßnahmen, die das gesamte Bundesgebiet betreffen.
INSIDER: Die Polizei muss noch weitere Vorgaben der Bundesregierung überwachen – Maskenpflicht, Abstandsregeln, Sperrstunden et cetera. Ist die Exekutive bereits am Leistungslimit?
Nehammer: Die Polizistinnen und Polizisten haben bereits im Frühjahr gezeigt, dass sie in der Lage sind, mit großen Herausforderungen souverän umzugehen. Darüber hinaus können wir – wenn erforderlich – auch Polizeischülerinnen und Polizeischüler im zweiten Ausbildungsjahr zum Einsatz bringen.
INSIDER: Wie entwickelt sich die Gesamtkriminalität im Corona-Jahr 2020? Im Herbst sind ja immer schon Prognosen auf die Statistik möglich.
NEHAMMER: Eines darf klar gesagt sein: Das Jahr 2020 kann man mit keinem Jahr davor vergleichen. Wir haben vor allem während der Zeit der Ausgangsbeschränkungen eine massive Reduktion der strafbaren Handlungen im öffentlichen Raum wahrgenommen. Wenn Lokale und Geschäfte geschlossen haben, gibt es natürlich weniger Diebstähle, Körperverletzungen und ähnlich gelagerte Delikte. Dafür haben sich viele kriminelle Handlungen in den virtuellen Raum verlagert. Ich habe bereits den Direktor des Bundeskriminalamtes beauftragt, hier eine Analyse durchzuführen. Mit Jahresbeginn werden wir hier eine umfassende Untersuchung präsentieren können.
INSIDER: Wie sehen die Experten des Innenministeriums und der Innenminister selbst die nächsten Monate: Wird die Zahl der Straftaten aufgrund von starken Einkommenseinbußen und von Jobverlusten steigen?
NEHAMMER: Die Bundesregierung unternimmt alles, um Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Das ist eine wichtige Maßnahme, um unser soziales Zusammenleben zu sichern.
INSIDER: Wie wird sich die Exekutive künftig bei Demos sogenannter Corona-Leugner verhalten? In Wien wurde kürzlich ja eine Demo von 1.500 Personen nicht gestoppt. Fällt eine derartige Vorgangsweise von Maskenverweigerern nicht unter „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“?
NEHAMMER: Ich darf hier Universitätsprofessor Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck zitieren, er sagte: „Ich halte es für zulässig, Versammlungen für einen bestimmten Zeitraum – wie zum Beispiel für zehn Tage – durch die Gesundheitsbehörde zu untersagen, vorausgesetzt, die epidemiologische Entwicklung erfordert dies. Ob solche Untersagungen erforderlich sind, hat die Gesundheitsbehörde zu entscheiden.“ Ich bin dazu in engem Austausch mit Gesundheitsminister Anschober.
INSIDER: Existieren Verbindungen der rechten Szene mit dieser Gruppe der Corona-Leugner?
NEHAMMER: Wir haben es hier mit einer sehr heterogenen Gruppe zu tun. Da sind Staatsverweigerer, Rechtsradikale und noch andere Verschwörungstheoretiker mit dabei.
INSIDER: Wesentlich härtere Maßnahmen, ständige Warnungen – riskiert die Bundesregierung nicht damit auch ein Anwachsen der Gegnerschaft dieser Maßnahmen, ein Anwachsen der Gruppierung der Corona-Leugner?
NEHAMMER: Führen wir uns doch vor Augen, wie die Zahl der Menschen, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen, in den letzten Tagen angestiegen ist. Da ist es unsere Aufgabe als Bundesregierung, rasch zu handeln. Ich empfehle jedem dieser Damen und Herren, mit jemanden zu sprechen, der an Corona erkrankt war. Das könnte sehr heilsam sein – wenn ich dieses Wort in diesem Zusammenhang verwenden darf.
INSIDER: Deutschland hat bereits die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Infektionen verschärft, jetzt könnte noch mehr folgen – müssen wir bald mit verschärften Grenzkontrollen oder gar Grenzsperren rechnen?
NEHAMMER: Bundeskanzler Sebastian Kurz hat klar gesagt, dass es keine Sperren der Grenzen geben wird. Kontrollen führen wir seit Beginn der Pandemie durch – die sich auch bewährt haben.
INSIDER: Wie erhöhen Sie selbst für sich und Ihre Familie die Sicherheitsmaßnahmen? Wie viele Tests haben Sie schon hinter sich?
NEHAMMER: Das kann ich Ihnen gar nicht mehr genau sagen. Unzählige.