oe24.TV: 1. Bürger-Forum mit Kern

Kern: "1.500 Euro Mindestlohn"

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SPÖ-Chef Kern stellte sich den Fragen von ÖSTERREICH-Herausgeber Fellner und Bürgern.

Velden. Entspannt und bestens gelaunt erschien Christian Kern beim ersten Bürgerforum im Casino Velden am Wörthersee. Im neuen Sendeformat von oe24.TV stellte sich der SPÖ-Chef und Ex-Kanzler den Fragen von Bürgern und ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner (Heute 20.15 Uhr, oe24.TV).

Der Andrang war groß, als Kern eine ehrliche Bilanz seiner Regierungszeit zog. Er sprach offen über den misslungenen Wahlkampf. Das Engagement von Berater Tal Silberstein ist Kern jetzt „unendlich peinlich“. Der SPÖ-Chef ließ auch mit inhaltlichen Ansagen aufhorchen: Den Mindestlohn will er auf das Niveau von 1.500 Euro erhöhen.

Mit der österreichischen Regierung geht Kern hart ins Gericht. Diese hätte „keinen Plan“, diskutiere über Bärenverbote, ausländische Hunde im Tierheim und schaffe es nicht einmal, Pferde für die Polizei zu beschaffen.

Das neue Bürgerforum mit den Parteichefs gibt’s ab sofort jede Woche. Nächsten Sonntag, um 20.15, mit Peter Pilz aus Graz.

SPÖ-Chef: "Mindestlohn 
auf 1.500 Euro erhöhen"

oe24.TV: Die Stimmung in Österreich ist gut, die Bevölkerung ist ganz zufrieden, aber Sie haben jetzt den Oppositionsturbo eingeschaltet. Da war von zwei Besoffenen die Rede, die die Regierung bilden, wie war das gemeint?

Christian Kern: Meine Hypothese ist Folgende: Diese beiden Parteien sind aneinandergekettet, die haben ihr Schicksal miteinander verbunden und werden auf Gedeih und Verderb versuchen, das bis zum letzten Tag durchzukriegen, weil offensichtlich der Reiz der Macht für die einzelnen Protagonisten so groß ist.

oe24.TV: Das war ja auch ein bisschen das Startsignal, dass Sie erwacht sind. Das Aufweckmittel war der 12-Stunden-Tag. Was stört Sie so daran?

Kern: Ich glaube, jeder von uns weiß, dass wir flexiblere Arbeitszeiten brauchen. Die Frage ist nur, wie organisieren wir das? Wir hätten keine 60-Stunden-Woche gemacht. Wir hätten die Wahlarbeitszeit für die Arbeitnehmer gemacht. Die müssen entscheiden können, wann sie Überstunden machen.

oe24.TV: Sind Sie für die 30-Stunden-Woche?

Kern: Ich denke, dass das ­eine Perspektive ist, die wir haben werden. Das wird so kommen, weil die klassische Erwerbsarbeit sich reduzieren wird. Was wir heute schon sehen, ist, dass die Volkswirtschaft wächst, aber die Gewinneinkommen aus der Wirtschaft viel schneller steigen als die Lohneinkommen.

oe24.TV: Wir haben viele Mails bekommen, in denen gefragt wird: Warum hat die SPÖ in der Regierung die Steuern so hoch gedreht? Arbeit muss sich wieder lohnen.

Kern: In meiner Zeit als Kanzler haben wir die Steuern reduziert und die Steuern- und Abgabenquote ist um 2 % gesunken. Wir haben natürlich das Thema: Arbeit muss sich lohnen. Einer der Gründe ist: Einkommen bis 1.500 Euro müssen steuerfrei sein. Wir wollen, dass die Mindestlöhne auf dieses Niveau erhöht werden. Es gibt fast 300.000 Menschen in Österreich, vor allem Frauen, die darunter sind. Da muss man ansetzen.

Anton Wrann (Hotelier in Velden, Publikum): Ich habe viele Kollektivvertragsverhandlungen mitgemacht. Da ist so viel blockiert worden. Das wäre alles viel leichter gegangen, wenn man aufeinander zugegangen wäre.

Kern: Ich widerspreche Ihnen nicht, denn ich glaube auch, dass man viel zu dogmatisch miteinander umgegangen ist. Aber ich glaube, es ist wichtig, die sozialpartnerschaftliche Tradition zu bewahren und zu sagen, beide Seiten müssen etwas davon haben.

oe24.TV: Thema Flüchtlinge: Man wirft Ex-Kanzler Faymann vor, dass er 150.000 hineingelassen hat. Sie haben sie mit den ÖBB gratis transportiert. Sind Sie da ein bisschen mitschuldig daran, dass 150.000 Flüchtlinge bei uns im Land sind?

Kern: Das ist ein dermaßen außergewöhnlicher Blödsinn, dass ich mich wundere, dass ÖVP und FPÖ sich das zu erzählen trauen. Ich weiß noch gut, wie das damals im September 2015 gewesen ist. Man sagt heute, Angela Merkel hat die Grenzen geöffnet. Was soll der Unfug? Wir haben in einem Europa gelebt, das die Idee verfolgt, dass es keine Grenzen zwischen den Ländern gibt. Wenn der Herr Orbán heute erzählt, Merkel muss ihm dankbar sein, weil er jetzt mit seinem Zaun das Problem löst, dann stimmt das einfach nicht. Die Wahrheit ist, wenn Merkel nicht damals Orbán die Möglichkeit gegeben hätte, dass man das verteilt in Europa, wäre Ungarn im Chaos versunken.

Julischka Politzky (Unternehmerin, Publikum): Wir haben momentan im Betrieb drei Flüchtlinge beschäftigt, zwei haben den Status, ­einer hat einen negativen Bescheid bekommen. Diese Flüchtlinge, die bereit sind, sich zu integrieren, dürfen nicht arbeiten ...

Kern: Ich bin der Auffassung, dass man den Leuten, die bereit sind, zu arbeiten, eine Lehre zu machen, auch eine Chance geben sollte – und die sollte man dann auch hier­lassen.

oe24.TV: Haben Sie bei der letzten Wahl Sebastian Kurz kriminell unterschätzt?

Kern: Kriminell unterschätzt habe ich ihn bestimmt nicht. Der ist natürlich auf einer Welle geschwommen, die Medien haben ihn geliebt, haben diese Welle weiterproduziert. Wir müssen die Zeit jetzt nützen, damit wir bei der nächsten Wahl besser aufgestellt sind. Wenn uns das nicht gelingt, dann hüpfen wir beide da in den See.

oe24.TV: Welcher Teufel hat Sie geritten, sich von Silberstein beraten zu lassen?

Kern: Wir können ewig über die Geschichte reden. Es ist mir unendlich peinlich, dass das passiert ist, dass da so ein Mensch war in unserem Umfeld, aber das hat den Wahlkampf nicht entschieden.

Otto Retzer (Schauspieler, Publikum): Wie lange werden Sie dem Ruf der Wirtschaft widerstehen? Werden Sie einen zweiten Hype Kern abwarten?

Kern: Was ich gelernt habe, ist, das Politikerdasein ist wirklich eine harte Schule. Jetzt erwarte ich mir kein Mitleid von irgendwem, überhaupt nicht, das ist selbst gewählt und ich bin stolz darauf, dass ich SPÖ-Vorsitzender sein darf. Der Souverän sind die Wähler.

oe24.TV: Es war ein strategischer Fehler, dass Sie nicht in Neuwahlen gingen, als Sie Kanzler wurden, oder?

Kern: Im Nachhinein haben Sie wahrscheinlich sogar recht. Am Ende geht es aber schon darum, wofür steht man, welche Person ist man und passt das mit dem Handeln zusammen. Wenn du da reingehst und sagst, was ist mein persönlicher Vorteil, dann kommt man nicht weit. Und ehrlich gesagt, das ist auch genau das, was ich unserer Regierung unterstelle.

oe24.TV: Was genau?

Kern: Die haben überhaupt keinen Plan. Was macht die Regierung? Die Hartinger-Klein diskutiert ein privates Braunbären-Verbot. Ich meine, was soll das? Dann sagt Vier Pfoten, es gibt gar keine privaten Braunbären in Österreich. Ich habe schon Angst gehabt, dass jetzt alle ihre privaten Braunbären auf der Autobahn aussetzen. Und die FPÖ sagt, in unseren Tierheimen ist die Mehrzahl der Hunde Ausländer. Das ist ja lächerlich. Ich habe zwei Britisch-Kurzhaar-Katzen zu Hause und habe mir schon gedacht: Oh Gott, muss ich die jetzt auch schon weggeben, wenn die Ausländer in den Tierheimen schon so zum Problem werden? Also das ist ja alles eine Lächerlichkeit. Die Polizeipferde, das Nächste, da scheitert der Innenminister daran, jetzt noch zwölf Pferde zu kaufen. Das ist eine Lachnummer. Kriegt er dann vier Pferde, die sind dann noch zu klein. Ich meine, was ist das Nächste, eine Ponypolizei? Das ist doch alles nicht ernst zu nehmen.

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