EU viel zu bürokratisch

Kurz: 'Es muss sich definitiv viel ändern in Europa'

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Kanzler fordert Reformen: 'Die EU funktioniert in einigen Bereichen viel zu bürokratisch'

Die nur schleppend verlaufende Impfkampagne in Europa hat nach Ansicht von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gezeigt, dass sich in der EU viel ändern müsse. "Es muss sich definitiv viel ändern in Europa. Wir haben in der letzten Zeit an Wettbewerbsfähigkeit verloren", sagte Kurz in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).

"Unsere früheren Hauptabsatzmärkte werden immer mehr zu unseren Konkurrenten. Die EU funktioniert tatsächlich in einigen Bereichen viel zu bürokratisch", so der Bundeskanzler weiter. Damit die EU wettbewerbsfähig bleibe, brauche es schnellere Prozesse und weniger Bürokratie. "Aber ich möchte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausdrücklich danken für ihren Einsatz. Sie hat sich die Strukturen ja nicht ausgesucht und ist um Reformen bemüht."

"Ich war nie ein Wunderkind"

Von der Zeitung gefragt, ob er sich als "Wunderkind" sehe oder die Polarisierung ("Orban light") als Erfolgsrezept betrachte, antwortete Kurz: "Beide Zuschreibungen treffen nicht zu: Ich war nie ein Wunderkind, und die Unterstellungen, die über mich in die Welt gesetzt werden, sind genauso unwahr." In Österreich habe es in den letzten fünfzig Jahren vor ihm nur einen gewählten Bundeskanzler gegeben, der nicht den Sozialdemokraten angehörte, nämlich Wolfgang Schüssel (ÖVP). "Er war damals schon massiver Kritik ausgesetzt. Auch jetzt gibt es viele, die lieber einen Sozialdemokraten als Regierungschef hätten. In einer Demokratie ist es vollkommen normal, dass man Unterstützer und Gegner hat. Je klarer die eigenen Überzeugungen sind, desto mehr Widerstand erlebt man."

Sein oberstes Ziel als Bundeskanzler sei es, "dass wir als Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig sind, dass die Menschen Arbeit haben und dass wir es in Österreich schaffen, die Steuerlast schrittweise zu senken", so Kurz in dem Interview weiter. Die ökologische Transformation zu schaffen, ohne Arbeitsplätze zu vernichten, sei eine zentrale Herausforderung.

Migrationspolitik

Seine Haltung zur Migration, wonach der Erfolg der Integration von der Zahl zu Integrierender abhänge, werde "nicht mehr wie noch 2015 als rechts oder rechtsradikal abgetan", sondern habe "sich mittlerweile als Mehrheitsmeinung in der EU durchgesetzt", sagte Kurz. "Damals haben viele Politiker die Willkommenskultur und offene Grenzen propagiert, heute investiert die EU in Grenzschutz und führt den Kampf gegen Schlepper immer entschlossener."

Speziell zum Islam sagte der Kanzler: "Man muss trennen zwischen der Religion, die in Österreich seit über hundert Jahren anerkannt ist, und dem politischen Islam und der Radikalisierung, die eine Basis für Terrorismus sind. In weiten Teilen Europas gab es in der Vergangenheit zu viel Laissez-faire-Politik. Noch immer verkennen viele, dass radikale Gedanken oft zu Gewalt führen. Europäische IS-Rückkehrer, die nach Syrien und in den Irak gereist sind, um dort zu morden, sind tickende Zeitbomben." Österreich wolle den Straftatbestand 'Politischer Islam' einführen, um gegen radikalisiertes Gedankengut vorgehen zu können. "Und wir wollen ein 'Imame-Register' einführen, um sicherzustellen, dass es nicht zu Hasspredigten oder der Verleitung junger Menschen auf einen falschen Weg kommt."

Zufrieden mit Koalition

Mit der Koalition mit den Grünen zeigte sich Kurz "sehr zufrieden. Es ist uns gelungen, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Wir wollen gemeinsam Wettbewerbsfähigkeit und Standortpolitik in Einklang bringen mit Ökologisierung und der Verantwortung gegenüber der Schöpfung. Die ökologische Transformation muss in einer sozialverträglichen Weise stattfinden -und das versuchen wir gerade." Die Koalition wolle, dass Österreich bis 2040 klimaneutral werde und bis 2030 allen Strom aus erneuerbarer Energie gewinne, "das sind ambitioniertere Ziele als die der EU. Was mich mehr besorgt, ist die Frage, wie diese europäische Anstrengung sich geopolitisch auswirkt und was sie für die Wettbewerbsfähigkeit Europas bedeutet."

Kurz sprach sich gegen weitere Russland-Sanktionen der EU aus. "Die von der EU bereits verhängten Sanktionen waren richtig. Aber es ist wichtig, auch auf Dialog zu setzen. Frieden wird es auf unserem Kontinent immer nur mit und nie gegen Russland geben können." Er sei "gegen zusätzliche Sanktionen als Selbstzweck. Es braucht eine Deeskalation."
 

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