Schallenberg ortete im Vorfeld des diplomatischen Großereignisses in New York eine ''Zäsur'' durch den russischen Angriff auf die Ukraine, Nehammer brach bei seinem ersten Auftritt eine Lanze für die Bildung.
New York. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) nehmen Dienstag Vormittag (Ortszeit) an der Eröffnung der Generaldebatte im Rahmen der 77. UNO-Vollversammlung teil. Schallenberg ortete im Vorfeld des diplomatischen Großereignisses in New York eine "Zäsur" durch den russischen Angriff auf die Ukraine, Nehammer brach bei seinem ersten Auftritt eine Lanze für die Bildung.
Vergangenes Jahr sei noch die Corona-Pandemie das dominierende Thema bei der Vollversammlung der UNO gewesen, erinnerte sich Schallenberg. "Wir haben damals gedacht, dass das schon herausfordernd genug ist. Aber der russische Angriffskrieg hat alles geändert. Jetzt haben wir eine wirkliche Zäsur, mit der wir uns auseinandersetzen müssen." Ein wesentliches Thema in New York sei es wohl, den "Verbündeten" in aller Welt klar zu machen, dass das zwar ein "Krieg auf europäischem Boden" sei, "aber mitnichten ein europäischer Krieg."
"Unterbrochene Lieferketten, steigende Energiepreise"
Dennoch würden neben dem Ukraine-Krieg andere Themen wie Klimawandel oder Lebensmittelknappheit nicht zu kurz kommen, gab sich Schallenberg überzeugt. Schließlich seien diese Fragen durchaus miteinander verwoben. So seien die "unterbrochenen Lieferketten, die steigenden Energiepreise, die Lebensmittelknappheit, die einige Staaten spüren, auch Ergebnisse dieses Krieges". Wichtig sei es aber, einen Punkt festzuhalten: "Die Sanktionen der Europäischen Union haben damit genau gar nichts zu tun. Es gibt keine Sanktionen auf Getreide, es gibt keine Sanktionen auf Düngemittel oder auf Gas."
Die Welt müsse sich einer Grundsatzfrage stellen: Wollen wir eine Welt, in der sich der Stärkere einfach holt, was er will, mit Raketen und Bomben und Panzern? Oder wollen wir weiterhin eine Welt, wo Regeln gelten und diese so gut wie möglich respektiert werden und wenn jemand gegen sie verstößt, dies auch geahndet wird?" Für ein Land wie Österreich sei essenziell, "diese regelbasierte Ordnung aufrechtzuerhalten", betonte Schallenberg.
Schallenberg: "Das kann Migrationswellen auslösen"
Eine Welt, "in der das Gesetz des Dschungels gilt", sei für alle lebensbedrohlich, analysierte der Außenminister. "Und das wird für mich das wesentliche Thema sein." Der Krieg in der Ukraine sei natürlich auch verbunden mit der "Nahrungsmittelkrise, die sozusagen als Brandbeschleuniger von humanitären Krisen wirkt. Das kann Migrationswellen auslösen." Schallenberg: "Das betrifft uns auch wieder. Das heißt, wir haben ein immanentes Interesse an Stabilität, an Sicherheit in diesen Weltgegenden." Während seines bis Freitag dauernden Aufenthalts in New York habe er "über ein Dutzend bilateraler Treffen", erinnerte Schallenberg, "vor allem mit den Nachbarstaaten Russlands." In den Gesprächen gehe es auch darum herauszufinden, "wie wird diese russische Bedrohung dort wahrgenommen?"
Bundeskanzler Nehammer startete am Montag mit einer Rede beim "Transformation Education Summit" im UN Head Quarter am Hudson River in die Vollversammlung. Bildung sei unter anderem die "Grundlage für Frieden und Wohlstand", unterstrich der Kanzler dabei, aber auch beispielsweise für "Klimaschutz oder technologischen Wandel".
"50-jähriges Jubiläum der kostenlosen Schulbücher"
Österreich habe vom öffentlichen Zugang zu Bildung auf hohem Niveau enorm profitiert, erklärte Nehammer. Er erinnerte auch daran, dass sein Land "kürzlich das 50-jährige Jubiläum der kostenlosen Schulbücher" gefeiert habe. Die Gratis-Schulbuch-Aktion war zu Beginn der 1970er-Jahre von der damaligen SPÖ-Bundesregierung unter Kanzler Bruno Kreisky eingeführt worden.
Der Bundeskanzler verwies auch darauf, dass die Corona-Pandemie zwar den "Lernverlust beschleunigt", andererseits aber auch zu einem digitalen Schub geführt habe. Er bot den Vereinten Nationen "im Hinblick auf den Zukunftsgipfel 2023" weitere Kooperation an, um "an der Transformation von Bildung" zu arbeiten. Schließlich sei diese "die Grundlage für eine friedliche globale Zukunft, für unsere Kinder und unsere Gesellschaften".
Nehammer war am Montag gemeinsam mit Außenminister Schallenberg aus Wien nach New York gereist.
Am späteren Abend (Ortszeit) wurde dort auch Bundespräsident Van der Bellen erwartet. Das Staatsoberhaupt hatte zuvor in London dem Begräbnis von Queen Elizabeth II. beigewohnt. Noch am Montagabend (Ortszeit) war Nehammer beim ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger (99) zu Gast. Schallenberg nahm am Treffen der EU-Außenminister teil.
Am Dienstag und den folgenden Tagen sind für Van der Bellen, Nehammer und Schallenberg in New York mehrere bi- und multilaterale Gespräch geplant. Gemeinsam sind sie am Mittwoch bei UNO-Generalsekretär António Guterres zu Gast. Ebenfalls am Mittwoch kommt Van der Bellen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammen. Die Stimmung zwischen Wien und Ankara war längere Zeit frostig gewesen. In den vergangenen Wochen kam es aber zu mehreren Treffen, auch auf Regierungsebene.
Neues Wandgemälde ziert die Zentrale der Vereinten Nationen
Pünktlich zum Start der Vollversammlungswoche ziert ein neues Wandgemälde die Zentrale der Vereinten Nationen in New York. Das 350 Quadratmeter große Werk des brasilianischen Künstlers Eduardo Kobra zeigt eine Weltkugel, mit Südamerika im Fokus, auf den Händen getragen von einem Mädchen und einem Mann. Es ziert eine seitliche Außenwand des Hauptquartiers an der Ostseite Manhattans und ist von der First Avenue aus sichtbar. "Die Botschaft handelt von dem Planeten, den wir der nächsten Generation übergeben", wurde Kobra von den Vereinten Nationen zitiert. "Wie kümmern wir uns um unseren Planeten? Denn die Zukunft ist jetzt. Die Zukunft hat schon begonnen und wir sind alle dafür verantwortlich."
Am Sitz der Vereinten Nationen beginnt am Dienstag die 77. Generaldebatte der UNO-Vollversammlung, zu der mehr als 140 Staats-und Regierungschefs erwartet werden. Traditionell werden das Staatsoberhaupt von Brasilien, Jair Bolsonaro, US-Präsident Joe Biden und UNO-Generalsekretär Guterres die ersten Reden halten.
Die Vollversammlung ist das Parlament der Vereinten Nationen. Darin hat jedes Mitgliedsland eine Stimme. Die Sitzungsperioden dauern rund ein Jahr. Höhepunkt ist jeden September die Generaldebatte der Vollversammlung, zu der üblicherweise Staats- und Regierungschefs aus aller Welt anreisen.