In diesen Krisenzeiten zwischen Russland und dem Westen ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im prunkvollen Kremlpalast bei seinem Kollegen Wladimir Putin ein gerngesehener Gast.
Der 69-jährige Putin schätzt den 44-jährigen Macron seit fünf Jahren nicht nur als Vermittler – neben Deutschland – im Ukraine-Konflikt. Der Kremlchef stößt bei dem Franzosen, der auch amtierender EU-Ratspräsident ist, stets auf ein offenes Ohr, wenn es um Russlands Interessen in Europa geht.
Wenn sich die beiden nun nach drei Krisentelefonaten erstmals wieder persönlich treffen, soll es um einen Abbau der Spannungen in Europa gehen. Dabei dürfte es Putin besonders gefallen, dass Macron zuerst ihn in Moskau besucht und erst danach in die Ukraine reist. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) besucht kommende Woche wiederum erst Kiew, dann Moskau. Es habe im vergangenen Jahr zu wenig Dialog mit Russland gegeben, meinte Macron in einem Interview vor seiner Abreise. Russland gehe es in der aktuellen Konfrontation nicht um die Ukraine, "um die Klärung der Regeln des Miteinanders mit NATO und EU".
Russland besorgt
Putin hatte zuletzt schon bei einem Treffen mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban in Moskau beklagt, die NATO, die USA und der Westen nähmen Russlands Sorgen um seine eigene Sicherheit nicht ernst. Putins Außenminister Sergej Lawrow meinte unlängst, alle kümmerten sich um die Interessen der Ukraine – aber niemand im Westen um die Sicherheitsbelange Russlands. Moskau betont immer wieder, es sehe sich bedroht von der NATO und US-Waffen in Europa.
Macron dürfte von Putin einmal mehr hören, dass Moskau eine Aufnahme der Ukraine in die NATO nicht widerstandslos hinnehmen würde. Putin machte zuletzt mehrfach deutlich, es gehe hier um nichts weniger als eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa.
Einmarsch Russlands in deie Ukraine als Drohgebärde
So gesehen gilt auch der Aufmarsch russischer Truppen entlang der Grenze zur Ukraine vor allem als Muskelspiel, mit dem Moskau seinen Forderungen nach Sicherheitsgarantien Nachdruck verleiht. Vorwürfe der USA, es gehe in Wahrheit um die Vorbereitung auf einen Überfall auf die Ukraine, weist der Kreml seit Wochen zurück. Russische Staatsmedien meinten, die USA würden mit ihren hysterischen Warnungen vor einem Krieg die ganze Welt verängstigen. Da könne ein Besuch Macrons bei Putin viel zur Entspannung beitragen, hieß es.
Vor Macrons Reise betonte der Élyséepalast die enge Abstimmung mit den EU-Partnern, allen voran Kanzler Scholz. Macron telefonierte mit US-Präsident Joe Biden, mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und mehrfach mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj. Es gehe um eine einheitliche, abgestimmte Ansage an Moskau mit klar umrissenen Konsequenzen im Fall einer Aggression, hieß es in Paris.
Macrons intensiver Vermittlungseinsatz in der Krise fällt in den Start der heißen Phase des Präsidentenwahlkampfs in Frankreich, noch hat er seine erwartete Kandidatur für eine zweite Amtszeit nicht erklärt. Aber ein Besuch als Krisenmanager in Moskau dürfte nicht schaden, auch wenn keine Durchbrüche zu erwarten sind. Macron will in Moskau für eine Wiederbelebung des mit Hilfe von Deutschland und Frankreich verhandelten Friedensplans für die Ostukraine werben.
Macron setzt auf Dialog
Der Präsident meinte, dass durch den Dialog in den vergangenen Tagen schon einiges erreicht sei, damit die Lage nicht weiter eskaliere. Er wolle in Moskau Antworten auf die akute Lage finden, aber auch in Richtung einer neuen Ordnung gehen, die Europa dringend brauche, basierend auf dem Prinzip der Souveränität der Staaten, sagte Macron.
Aus Moskauer Sicht sind die Antworten klar: Wir wollen keinen Krieg, heißt es allenthalben im Kreml. Aber die NATO könne nach Jahren der Osterweiterung auch nicht auf den Interessen Russlands herumtrampeln, wie es Minister Lawrow einmal ausdrückte.
Zwar blitzte Putin mit seinem viel beachteten Forderungskatalog für mehr Sicherheit in Europa bei den USA und der NATO in den Kernpunkten ab. Der russische Politologe Dmitri Trenin sagte in einer Gesprächsrunde der Moskauer Denkfabrik Carnegie Center aber, dass Putin mit dieser diplomatischen "Schocktherapie" doch inzwischen einiges erreicht habe. Vor allem gebe es wieder einen Dialog zwischen Russland, der NATO, der USA und der EU.
Niemand in Moskau habe ernsthaft geglaubt, dass die NATO sich – wie von Putin gefordert – aus Osteuropa und auf die Positionen von 1997 zurückziehe, sagte Trenin. Dass auf Russlands Sorgen jetzt im Westen eingegangen werde, sei aber ein wichtiger diplomatischer Erfolg. Trenin ist überzeugt, dass die USA keinen Krieg riskieren wegen der Ukraine – und auch die NATO das Land nicht aufnehmen werde.
Der Carnegie-Experte Andrej Kolesnikow meinte, dass sich Russland mit der Angstmache vor allem Respekt verschaffen wolle. Durch ein Blutvergießen aber könne Putin nichts gewinnen; das gebe keinen Mobilisierungseffekt in der Gesellschaft. Vielmehr verschärften schon allein die beschworene Kriegsgefahr und die angedrohten Sanktionen des Westens die wirtschaftlichen Probleme in Russland. "Mit Krieg lässt sich das Rating schon nicht mehr verbessern."