Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.
Kann Nehammer Kanzler? Das ist die Frage dieser Tage.
Kritisch besehen hat er kaum eine Chance – aber die will er nutzen. Sein Vorgänger Sebastian Kurz hat ihm eine Pleiten-Pech-und-Pannen-Regierung hinterlassen, mit der nichts mehr zu gewinnen ist.
Jetzt muss Nehammer, der als Partei-General und Innenminister immer nur Diener seines Herrn war, plötzlich alleine die Regierung führen. Ohne Team. Ohne funktionierende Partei. Ohne Netzwerk. Das schafft normalerweise nicht einmal David Copperfield.
Das Eindrucksvolle an Nehammer ist, wie er kämpft, wie er sich bemüht – gegen die Kritik der Medien, gegen den Spott von Social Media, gegen die Pleiten seiner Minister.
Er verlässt sich dabei vor allem auf zwei Berater, für die er wieder mal von den Medien verprügelt wird:
– Auf seine Frau Kathi, die ihn als ehemalige PR-Beraterin von Sobotka und Tanner zum Kanzler „machen“ will. Das erinnert an Hillary Clinton. Politisches Teamwork muss in einer modernen Kanzler-Ehe erlaubt sein.
– Und auf den früher engsten Kohl-Berater und Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Kaum einer kennt das Polit- und Mediengeschäft so wie er.
Mit seiner „Hillary“ und seinem „Mini-Kohl“ muss Nehammer jetzt in Rekordzeit den Durchbruch als Kanzler schaffen. Das gelingt ihm nur:
– Wenn er rasch ein gutes Regierungsteam und ein großes Beraterteam zusammenstellt.
– Wenn er spätestens zum ÖVP-Parteitag im Mai ein visionäres Regierungsprogramm mit Digitalreform, Bildungsreform, Wirtschaftsoffensive und Steuersenkung präsentiert (derzeit wirkt er noch ideenlos).
– Und wenn er vor allem ganz rasch eine Offensive gegen die Teuerung startet: mit Teuerungsbonus (mindestens 2.000 Euro Cash für Kleinverdiener), mit Spritpreisbremse, mit Mietendeckelung.
Derzeit wirkt Nehammer in der für sein Überleben so wichtigen Inflationskrise noch empathielos. Doch ohne G’spür für die „kleinen Leute“ – sprich für die große Mehrheit der Wenigverdiener – kann niemand Kanzler sein …