Ein Kommentar von oe24-Chefredakteur Niki Fellner.
Das oe24.TV-Interview mit Gesundheits- und Sozialminister Rudi Anschober löste gestern den ersten gröberen türkis-grünen Koalitionsstreit aus. Anschober hat sich auf oe24.TV dafür ausgesprochen, die EU-Seenotrettungsmission wiederzubeleben. Damit hat sich erstmals öffentlich ein grüner Minister gegen die Linie des Kanzlers gestellt. Denn Kurz hatte noch am Vortag verkündet, dass Österreich gegen einen Neustart der Mission „Sophia“ sei.
Der Zwist zeigt einmal mehr: Bei Migration und Asyl trennen ÖVP und Grüne Welten. Kaum ein Thema in diesen Bereichen, wo sich die beiden einig sind.
Kurz will Türkis-Grün mit seinen Migrations-Ansagen ganz bewusst als Mitte-rechts-Koalition positionieren. Das ist aus ÖVP-Sicht völlig richtig. Jeder Anschein eines „Linksrucks“ würde die ÖVP bei der wichtigen Wien-Wahl Stimmen kosten.
Für die Grünen ist das eine Lose-Lose-Situation. Wenn sie zur harten ÖVP-Migrationslinie schweigen, droht ihnen bei der Wien-Wahl ein Denkzettel. Viele frustrierte Grün-Sympathisanten könnten zur SPÖ wechseln. Zeigen sie – so wie Anschober – Rückgrat, droht Türkis-Grün schon in Kürze ein ähnliches Schicksal wie einst der „Großen Koalition“.
Die Grünen stehen jetzt vor einer Gewissensfrage: Tragen sie den Migrationskurs der ÖVP aus Koalitionsräson widerstandslos mit, um dafür im Umwelt- und Klimaschutzbereich ihre Agenda umzusetzen? Oder stellen sie sich öffentlich gegen die ÖVP-Linie – und riskieren damit, dass Türkis-Grün schon im ersten Jahr das Image einer Streithansel-Koalition bekommt?