Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.
Immer wenn ein wirklich Großer die öffentliche Bühne verlässt, ist das ein Schock – vor allem für ein kleines Land wie Österreich.
Im Fall von Marcel Hirscher ist der Schock noch größer als sonst. Weil Marcel nicht nur ein Großer, sondern vielleicht der größte Sportler der letzten Jahrzehnte ist.
Marcel war für Österreich ein Gottes-Geschenk
Marcel Hirscher war so etwas wie ein Gottes-Geschenk für das kleine Österreich. Er hat dem ORF ein Quoten-Hoch nach dem anderen beschert. Er hat Atomic zum Ski-Boom (den Carvern) verholfen. Er hat uns Österreichern ein neues Selbstbewusstsein und Nationalstolz gegeben.
Bei Marcel konnten wir uns sicher sein: Wir verblasen den Rest der Welt zumindest auf Skiern. Wir gewinnen auch dann, wenn wir zur Halbzeit weit zurückliegen. Wir haben die Kraft, die Stärke, die Mentalität zum Siegen.
Dabei war Hirscher ein "Anti-Österreicher"
In all diesen Punkten war Marcel eigentlich ein Anti-Österreicher. Er war nie genial-schlampig, sondern ein Perfektionist. Er war nie lebenslustig, sondern der disziplinierteste Skifahrer der Welt. Er hat sich gequält, geschunden, kaputttrainiert bis an die physische und auch psychische Grenze.
Marcel Hirscher war teilweise fast ein Überirdischer. Es gab Rennen und Hirscher-Siege, die Journalisten und Gegner nicht mehr analysieren konnten, weil Marcel sie in einer genialen Perfektion gefahren ist, die jenseits der sogenannten Ideal-Linie lag.
Als Sieger war Marcel somit übermenschlich. Unfassbar die Art, wie er seine Triumphe erzwang, seine Gegner demolierte.
Genau deshalb wird uns Marcel Hirscher so fehlen. Wir verlieren nicht nur unser Idol – wir verlieren in Wahrheit unser Sieger-Gen, den Austrian Spirit, fast ein National-Heiligtum.
Hirscher war eine Ich-AG – und so macht er Schluss
Dabei war Marcel Hirscher einer, der – wie er selbst betonte – nie für Österreich, sondern ganz brutal nur für sich gewonnen hat.
Hirscher war eine Ich-AG, die weder mit dem ÖSV noch mit dem Land viel zu tun hatte.
Hirscher hatte den Glücksfall eines genialen Vaters, der ihn an die Spitze führte, eines ergebenen Teams.
Hirscher und sein Vater haben früher als alle anderen verstanden, dass Sport heute nicht Gaudi, sondern Business mit Computern, Optimierungen, Material ist.
Marcel Hirscher hat sich bis an die Grenze des physisch und psychisch Machbaren für den Sport aufgeopfert. Er hat sich selbst ausgebeutet – körperlich und mental. Er weiß, dass er irgendwann dieses Über-Irdische, dieses permanente Gewinnen-Müssen, dieses Sieger-Gen nicht mehr an jedem Weekend liefern kann.
Dass Hirscher am Höhepunkt Schluss macht, verdient Respekt. Er verzichtet damit auf viele Millionen, auf Jubel, wohl auch auf Gold.
Wir müssen jetzt den Neustart wagen, zeigen, dass wir auch ohne Marcel das Sieger-Gen – zumindest auf Skiern – haben.
Marcel müssen wir aus ganzem Herzen Danke sagen. Nicht nur für die unzähligen Sonntage, an denen wir dank ihm jubeln durften. Nicht nur für das Selbstwert- und das Sieger-Gefühl, das er uns gegeben hat. Nein – auch dafür, dass er uns gezeigt hat, dass er im Abgang sooo menschlich ist. Marcel geht als unser Größter. Solche Sieger sollten wir alle sein …