Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.
Die 1. ÖSTERREICH-Umfrage seit Wahlkampfstart zeigt: Diese Wahl wird für ÖVP und SPÖ dramatisch, während Grüne und sogar FPÖ Rückenwind haben.
Sebastian Kurz wird für seinen zu erwartenden Wahl-Triumph viel härter kämpfen müssen, als er gedacht hat. Die aktuelle Umfrage beschert ihm erstmals in seiner Karriere ein Minus – wenn auch nur 1 %.
Der Grund dafür ist einfach: Weil Kurz nicht klar die Fortsetzung der türkis-blauen Koalition ansagt, laufen ihm jene FPÖ-Wähler, die keine „korrupte“ FPÖ, aber eine Fortsetzung der türkis-blauen Regierung wollen, wieder davon. Kurz kassierte im ersten Ibiza-Schock bei der FPÖ 6–8 % der „seriösen“ Wähler ab. Wenn er diesen nicht die Fortsetzung der ÖVP-FPÖ-Koalition verspricht, gehen sie zur FPÖ zurück, um ÖVP-Grün oder ÖVP-SPÖ zu verhindern.
ÖVP triumphiert in den Ländern, SPÖ kämpft um Wien
Trotzdem spricht viel dafür, dass die Kurz-ÖVP am 29. 9. die 40-%- Marke schafft, wenn man sich die Umfragewerte in den Ländern ansieht:
- Im Westen ist die ÖVP über 40 %, die SPÖ unter 20 %.
- In Niederösterreich betoniert die ÖVP die SPÖ mit 40 % zu 20 %.
- Noch dramatischer ist das SPÖ-Debakel in den wahlentscheidenden Ländern Oberösterreich und Steiermark. In der Steiermark steht die ÖVP vor dem größten Triumph. Im Steirerland, wo Kreisky, Vranitzky und Faymann noch Wahlsiege feierten, liegt die SPÖ nur mehr bei 18 %, die ÖVP aber mit 36 % beim Doppelten.
- Noch peinlicher für die SPÖ ist der Erdrutsch im Burgenland, wo die ÖVP in der Umfrage die SPÖ überholt.
- Und wirklich dramatisch ist das Ergebnis in Wien: Laut aktueller Umfrage liegt die SPÖ in Wien nur mehr ein kleines Prozent (!) vor der ÖVP. Nicht auszudenken, was passiert, wenn Kurz die SPÖ in Wien überholt – die Partei würde es dann wohl zertrümmern.
Die SPÖ steht tatsächlich vor den Trümmern ihrer einst so stolzen Organisation: Von Tirol bis in die Steiermark sind offenbar alle Partei-Strukturen zerfallen.
Wenn jetzt auch noch die einstigen SPÖ-Hochburgen Wien und Burgenland an die ÖVP verloren gehen, dann droht den Roten tatsächlich das Horror-Szenario, bei dieser Wahl erstmals unter 20 % zu fallen.
Dabei müsste eigentlich diesmal alles für die SPÖ laufen: Das Ibiza-Video war ein „Elfer“ für jede Opposition, der Sturz der Regierung müsste ein Turbo für die SPÖ sein und Pamela Rendi-Wagner wäre – theoretisch – die ideale Spitzenkandidatin: weiblich, sympathisch, telegen, menschlich, urban.
Nur: Rendi-Wagner kommt einfach bei den Wählern (noch) nicht an – sie wirkt zu gekünstelt, zu ferngesteuert, ist auch zu wenig Polit-Profi. Und die Partei-Strukturen in den Ländern sind so kaputt, dass im Wahlkampf-Finish ein Debakel droht. Nur Wien kann die SPÖ jetzt noch retten.
Abgeräumt wird die SPÖ diesmal von den Grünen. Der plötzliche Erfolg der Grünen zeigt, wie schnelllebig die Politik wird. Vor knapp zwei Jahren noch aus dem Parlament gewatscht, werden die Grünen mit mehr als 20 Sitzen ein triumphales Comeback feiern.
Soweit man das 12 Wochen vor der Wahl voraussagen kann: Das Asyl-Thema wird keine wahlentscheidende Rolle spielen – Flüchtlings-Massen sind nicht in Sicht. Auch das Thema Arbeitsplätze ist nicht mehr wichtig – die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Am ehesten könnten die Parteien noch mit einer mutigen Steuerreform und einer engagierten Schulreform punkten. Aber das alles entscheidende Thema dieser Wahl wird die Umwelt- und Klima-Politik.
Und das Ibiza-Video? Kaum zu glauben, aber dieser unfassbare Video-Skandal gerät schon jetzt in Vergessenheit, wird fast zur Operette, zur „b’soffenen G’schicht“. Das gibt der FPÖ die Chance, ihre kurzfristig verlorenen Wähler zurückzuholen. Immer mehr Fans von Türkis-Blau werden FPÖ wählen, um Kurz zur Fortsetzung dieser Koalition zu zwingen.
Kurz will Koalition mit Neos, kann aber bei FPÖ landen
Sebastian Kurz hat sich durch den Regierungs-Crash in eine fatale Situation gebracht. Wenn er jetzt Türkis-Blau fortsetzt, als wäre nichts gewesen, revoltieren Teile der eigenen Partei, das Ausland, die Medien.
Kurz braucht also mehr als 40 %, um seine Lieblings-Koalition mit den Neos umsetzen zu können.
Schafft Kurz „nur“ einen Wahl-Triumph knapp unter 40 %, wird er das riskante Experiment von Türkis-Grün wagen (müssen). Eine „Zukunfts-Koalition“ mit den Grünen, die aber eine 180-Grad-Kehrtwende zu ÖVP-FPÖ bedeuten würde.
Bleibt Kurz sogar unter 35 %, werden ihn die „Granden“ der Partei – die Länder, die Wirtschaft, die „Oldies“ – wohl zu einer Neuauflage von Schwarz-Rot zwingen. Dann regiert Sebastian mit Joy Pamela.
Und erst wenn alle Koalitions-Gespräche scheitern, wir bis Weihnachten noch immer keine Regierung haben, alle Wähler ungeduldig werden – erst dann wird Kurz wohl zu Türkis-Blau zurückkehren …