Wegen Coronavirus:

150 NGOs fordern Evakuierung von griechischen Flüchtlingslagern

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Schreiben von rund 150 zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Organisationen aus Österreich und Europa an EU und Mitsotakis - Österreich zum Handeln aufgefordert.

Athen/Lesbos/Wien. Rund 150 zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen aus Österreich und aus ganz Europa haben am Montag einen dringenden Appell an Spitzenpolitiker der EU und den griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis gerichtet und angesichts der Coronavirus-Pandemie die Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager gefordert.
 
"Wir fordern Sie unverzüglich zur Evakuierung der Flüchtlingslager und Hotspots auf den griechischen Inseln auf, um eine Katastrophe inmitten der Covid 19-Pandemie zu verhindern", hieß es in dem gemeinsamen Schreiben. Viele Organisation fordern Österreich zum Handeln auf.
 

42.000 Migranten in überfüllten griechischen Lagern

 
"Über 42.000 Menschen befinden sich unter entsetzlichen Bedingungen in den völlig überfüllten Lagern auf den Inseln. Empfohlene Maßnahmen wie die Wahrung von Distanz zu anderen oder regelmäßiges Händewaschen sind schlicht unmöglich. Es gibt keine Chance, einen Ausbruch in einem Lager einzudämmen", so der Brief, der unter anderem von Caritas Europa, SOS Mitmensch, der Volkshilfe Österreich, dem Arbeiter Samariter Bund Wien, Südwind sowie der Diakonie Österreich unterzeichnet wurde. "Wir fordern einen Notfalleinsatz, um die Gesundheit und Sicherheit der Asylsuchenden, der Bevölkerung und der Hilfskräfte gleichermaßen zu garantieren."
 
EU-Kommission, Europäischer Rat und Parlament müssten die EU-Mitgliedsstaaten dringend dazu auffordern, ihre Verantwortung wahrzunehmen und Schutzsuchende aus Griechenland aufzunehmen. "Wir verlangen, dass das Menschenrecht Asyl zu suchen und zu genießen, wie es durch die Europäische Grundrechtecharta garantiert ist, unverzüglich wiederhergestellt und respektiert wird. Dazu gehört die Entgegennahme und Behandlung von Asylanträgen in fairen Asylverfahren und die Nichtbestrafung von Grenzübertritten von Menschen die Asylanträge stellen, sowie die vollständige Achtung des Non-Refoulement-Gebots, das derzeit durch rechtswidrige Pushbacks unterlaufen wird", hieß es in dem Appell weiter.
 
"Griechenland kann das nicht alleine stemmen, Österreich kann hier nicht tatenlos zusehen", so Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser in einer Aussendung am Montag. "Griechenland kann das nicht alleine bewältigen, Österreich kann hier nicht tatenlos zusehen", betonte auch Sprecher Lukas Gahleitner-Gertz von asylkoordination österreich in einer Mitteilung.
 
Für den Direktor der Volkshilfe Österreich, Erich Fenninger, ist es ebenfalls ein Gebot der Stunde, den Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern beizustehen: "Uns alle hält die Corona Pandemie in Atem. Aber es ist auch sehr viel Solidarität spürbar. Die brauchen auch die verzweifelten Menschen in den Lagern, die sanitäre Situation ist schon lange nicht mehr tragbar. Ein Covid-19 Ausbruch wäre eine unfassbare Tragödie. Daher der Appell, jetzt entschieden zu handeln."
 
"Es wäre Wahnsinn hier einen massiven Ausbruch in Kauf zu nehmen und damit die Maßnahmen, die in ganz Europa zur Eindämmung des Virus getroffen wurden, zu konterkarieren", so Gahleitner-Gertz. "Auf den griechischen Inseln herrscht seit Monaten eine humanitäre Katastrophe, wir haben immer wieder eine Evakuierung und die Aufnahme von Schutzsuchenden in anderen Europäischen Länder gefordert, nun wird diese Evakuierung durch die Corona-Krise zum absoluten Muss. Es muss auch auf die Einhaltung der internationalen Konventionen durch die griechische Regierung bestanden werden, das Aussetzen des Asylverfahrens und die geplante Rückführung Schutzsuchender in die Türkei ist illegal."
 
Diakonie-Direktorin Moser sagt: "Europa muss jetzt so schnell wie irgendmöglich handeln und in einem Notfalleinsatz die Geflüchteten auf den griechischen Inseln in geeignete Unterkünfte bringen - zum Schutz nicht nur der Flüchtlinge selbst, sondern auch der ortsansässigen Bevölkerung und der Hilfskräfte. Es ist nicht auszudenken, was passiert, wenn es zu einem Covid 19-Ausbruch in den Lagern kommen sollte." Ärzte ohne Grenzen meldete nach ihren Angaben, dass es etwa im Lager Moria auf Lesbos nur eine Wasserzapfstelle für 1.300 Bewohner gibt und Seife nicht erhältlich ist. Fünf- oder sechsköpfige Familien müssten auf drei Quadratmetern Fläche schlafen.
 
Moser fordert eine gemeinsame Kraftanstrengung der EU-Mitgliedsstaaten, um zum einen Griechenland bei der Einrichtung geeigneter Unterkünfte auf dem Festland zu unterstützen, zum anderen aber auch Schutzsuchende in leerstehenden Quartieren in anderen EU-Ländern unterzubringen. Schutzsuchende sollten direkt in aufnahmebereite Länder ausgeflogen werden, dort zunächst in Quarantäne kommen und medizinisch und psychologisch betreut werden, während ihre Asylverfahren durchgeführt werden.
 
Moser verweist auch auf die Ankündigung des deutschen Innenministers Horst Seehofer, trotz der Einreisebeschränkungen aufgrund der Coronavirus-Krise an seiner Zusage festzuhalten und gemeinsam mit anderen EU-Staaten wie Frankreich, Irland, Portugal und Finnland Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen: "Wenn sich Österreich schon nicht dazu durchringen konnte, mit gutem Beispiel voranzugehen, dann sollten wir jetzt dem Beispiel Deutschlands folgen und uns solidarisch an europäischen Initiativen beteiligen."
 
Angesichts des drohendes Ausbruchs des Coronavirus in griechischen Flüchtlingslagern ruft SOS Mitmensch die österreichische Bundesregierung ebenfalls dazu auf, dem Beispiel Deutschlands zu folgen und Geflüchtete aufzunehmen. "Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt für grenzüberschreitende Solidarität und Hilfe?", heißt es in einer Aussendung der Hilfsorganisation am Montag.
 

Angst vor Corona-Ausbreitung

 
Eine rasche Ausbreitung in den griechischen Lagern drohe angesichts der vorherrschenden Enge und der dortigen prekären hygienischen Bedingungen. Auch mangle es an ausreichender ärztlicher Versorgung. "Jetzt nichts zu tun wäre fatal. Es muss rasch gehandelt werden, bevor das Virus die Lager erreicht. Jeder Tag zählt!", betont SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak.
 
Auch Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich unterstützen den Appell. "Die Situation der Flüchtenden auf den griechischen Inseln ist katastrophal," sagt Rubina Möhring. Abgesehen von den humanitären Zuständen sei eine unabhängige Berichterstattung über die Situation nicht gewährleistet. "Wir fordern die EU und die griechische Regierung dazu auf, freie Berichterstattung über die menschenrechtliche Lage durch umfassende Sicherheitsvorkehrungen für Journalisten zu ermöglichen und die völlig überfüllten Lager zu evakuieren," so Möhring, "um zu verhindern, dass Covid19 sich noch weiter ausbreitet."
 
Es gelte tausende Menschenleben zu retten, betonte Caritas Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner am Montag laut Kathpress in Sozialen Medien. Er wies vor allem auf die dramatische Situation für die Kinder hin: "Europa, lass diese Kinder bitte nicht im Stich!".
 
Der Aufruf der NGOs werde auch bereits von zahlreichen Personen des öffentlichen Lebens, wie dem evangelischen Bischof Michael Chalupka, dem Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, dem Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi oder dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis unterstützt.
 
Deutschland hat unlängst zugesagt, 1.600 Flüchtlinge aus griechischen Lagern - vor allem kranke Kinder und ihre Familien - aufzunehmen. Mädchen unter 14 Jahren sollen besonders berücksichtigt werden. Für Österreich hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine Aufnahme abgelehnt. Vertreter des Grünen Koalitionspartners haben sich im Gegensatz dazu dafür ausgesprochen.
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