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Flucht vor den Taliban

640 Afghanen zwängen sich in eine einzige US-Maschine

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Eigentlich würden nur 134 Passagiere in den Innenraum der Maschine passen.

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan haben westliche Staaten begonnen, in großer Eile ihre Staatsbürger und gefährdete afghanische Ortskräfte auszufliegen. Am Flughafen der Hauptstadt Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Hunderte oder Tausende verzweifelte und verängstigte Menschen versuchten, auf Flüge zu kommen, wie Videos in Online-Medien zeigten. 

Inmitten des Chaos stand eine Maschine der US-Luftwaffe auf dem Rollfeld in Kabul. Weil die Rampe der C-17 halboffen war, gelangten hunderte panische Afghanen in die Maschine. Obwohl der Flieger völlig überfüllt war, entscheid sich die Besatzung zu starten, statt die Menschen wieder von Bord zu zwingen.

640 Afghanen zwängen sich in eine einzige US-Maschine
© Twitter

Auch die Internetseite „Defense One“ wurde am Montag ein Foto des vollgepackten Innenraums der Transportmaschine veröffentlicht. Aus Sicherheitskreisen hieß es, nach der Landung in Katar seien 640 Zivilisten aus der Maschine ausgestiegen. Eigentlich hätten nur 134 Passagiere in der Maschine Platz.
 

Mehrere Tote

Für Entsetzen sorgten Videos in Online-Medien, die zeigen sollen, wie Menschen aus großer Höhe aus einem Militärflugzeug fallen. Es wurde gemutmaßt, dass sie sich im Fahrwerk versteckt hatten oder sich festhielten. Diese Angaben konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden. Ein Mann, der in der Nähe des von 2.500 US-amerikanischen sowie türkischen Soldaten gesicherten Flughafens lebt, schrieb der Deutschen Presse-Agentur von vier Abgestürzten, die in der Nachbarschaft aufgeschlagen seien. Auf einem anderen Video soll zu sehen sein, wie Dutzende Menschen neben einer rollenden US-Militärmaschine laufen. Einige klammern sich daran fest.

Das Pentagon bestätigte Zwischenfälle am Flughafen mit Bewaffneten. Dabei hätten US-Soldaten zwei Personen erschossen, die ersten Erkenntnissen nach aber nicht zu den Taliban gehörten, hieß es.

Biden droht den Taliban

US-Präsident Joe Biden drohte den Taliban für den Fall eines Angriffs auf US-Kräfte und ihre Evakuierungsmission. "Wir werden unsere Leute mit vernichtender Gewalt verteidigen, falls nötig", versicherte er am Montag im Weißen Haus.

Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen nach dem Abzug der ausländischen Truppen in rasantem Tempo praktisch alle Provinzhauptstädte eingenommen - viele kampflos. Am Sonntag rückten sie auch in Kabul ein. Kämpfe gab es keine.

Der blitzartige Vormarsch hatte viele Beobachter, Experten und auch die US-Regierung überrascht. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte am Montag: "Es gibt auch nichts zu beschönigen: Wir alle - die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft - wir haben die Lage falsch eingeschätzt."

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss sich ausdrücklich an. "Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt. Und das ist nicht eine falsche deutsche Einschätzung, sondern die ist weit verbreitet", sagte sie am Abend im Kanzleramt. Zuvor hatte es massive Kritik an der deutschen Regierung gegeben. Unionskanzlerkandidat Armin Laschet kündigte eine "schonungslose" Aufarbeitung dazu an. In den ARD-"Tagesthemen" sagte er: "Ich sage zu: Es wird alles aufgeklärt, wir müssen Konsequenzen ziehen."

Neue Fluchtwelle

UN-Generalsekretär António Guterres mahnte die militant-islamistischen Taliban zu "äußerster Zurückhaltung", um so Leben zu schützen. Humanitäre Hilfe müsse weiter möglich sein, und allen Menschen, die das Land verlassen wollten, müsse dies möglich sein, forderte er bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Die Weltgemeinschaft rief der UN-Chef auf, afghanische Flüchtlinge aufzunehmen und Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CDU) rechnet damit, dass 300.000 bis fünf Millionen weitere Afghanen die Flucht ergreifen. Das sagte er nach dpa-Informationen bei einer Unterrichtung der Bundestags-Fraktionschefs. Einen Zeitraum nannte er nicht.

Kanzlerkandidat Laschet äußerte sich skeptisch über eine Aufnahme von Afghanen in großer Zahl. "Ich glaube, dass wir jetzt nicht das Signal aussenden sollten, dass Deutschland alle, die jetzt in Not sind, quasi aufnehmen kann", sagte der CDU-Vorsitzende nach Beratungen von Präsidium und Bundesvorstand seiner Partei. "Die Konzentration muss darauf gerichtet sein, vor Ort, jetzt diesmal rechtzeitig - anders als 2015 - humanitäre Hilfe zu leisten." In dem Jahr waren Hunderttausende Migranten weitgehend unkontrolliert nach nach Europa und Deutschland eingereist. Merkel kündigte an, den afghanischen Nachbarstaaten schnell Hilfe anzubieten, um Fluchtbewegungen nach Europa unter Kontrolle zu halten.

Die Lage in Kabul selbst war am Montag angespannt, aber ruhig. Die Taliban besetzten überall in der Hauptstadt Polizeistationen und andere Behördengebäude, wie Bewohner der Deutschen Presse-Agentur berichteten.
 

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