Muslimbrüder: "Tag der Wut"

Ägypten: Blutiger Freitag in Kairo

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Nach den Freitagsgebeten begannen die befürchteten blutigen Ausschreitungen.

Ägypten: Blutiger Freitag in Kairo
© oe24

Ägypten steuert auf einen Bürgerkrieg zu: Beim „Tag der Wut“ lieferten sich Muslimbrüder Schlachten mit Polizei und Armee – sie riefen Freitagabend dann noch zu einer Woche der Proteste auf. Schon zuvor eskalierte die Lage im ganzen Land. In Ismailia, einer Stadt, in der die Muslimbruderschaft vor 85 Jahren gegründet wurde, kamen ­mindestens fünf Menschen ums Leben. Schwerste Zusammenstöße auch in der Hauptstadt Kairo: Allein hier gab es am Abend schon 50 Tote.

Nach dem Freitagsgebet bildeten sich Protestzüge. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein. Die Folge: stundenlange Straßenschlachten.

Die Kämpfe konzentrierten sich in Kairo auf zwei Brücken. Mursi-Anhänger und Unterstützer der Armee stießen aufeinander. In Panik sprangen Menschen in den Fluss.

Die Präsenz der Armee konnte aber ein Übergreifen der Kämpfe auf das gesamte Stadtgebiet vorerst verhindern. Die Muslimbruderschaft kündigte weitere Proteste an: „Kairo wird brennen!“, drohte sie.

Reportage: Karl Wendl direkt aus Kairo
"Vom Dach regnet es Tränengas-
Bomben auf uns"

Zuerst beten sie in den Moscheen, dann folgt Gewalt: Freitag der Wut in Kairo – ich erlebe ihn am Ramses-Platz hautnah mit.

Erst peitscht der Imam die Massen auf. Als das Freitagsgebet vorbei ist, strömen aus allen Stadtteilen Mursi-Anhänger (von 38 verschiedenen Moscheen) in Richtung Ramses-Platz, des größten Busbahnhofs. „Nieder mit der Polizei, Rache am Militär!“, schreien sie.

Ich begleite Mohamed Helmy (36), Manager von DHL Kairo. Er ist Islamist. Neben ihm seine Ehefrau Amal und die Tochter Jana (10). Sie trägt Schleier, darüber ein rotes Stirnband: „Es gibt nur einen Gott – Allah“ steht da­rauf. Plötzlich fliegen Steine. Aus den Fenstern schleudern Unterstützer des Militärs Mauerbrocken auf uns. Chaos. Erste Schüsse fallen. Ich sehe, wie Vermummte wahllos auf das Haus feuern, aus dem die Steine geflogen sind.

Eine Menschenwalze stürmt auf eine Polizeistation neben dem Ramses-Platz zu. Vom Dach der Polizeistation regnet es Tränengasbomben. Das beißende Gas kriecht in den Rachen, macht kurzfristig blind. Wieder Schüsse. Wer auf wen schießt, ist nicht auszumachen. Über dem Platz kreisen Militärhubschrauber. Wütend schleudern Jugendliche Steine in die Luft. Sie treffen die eigenen Reihen. Verletzte sind zu sehen.

In Panik springen ­Menschen von der Brücke

Mohamed Helmy versucht, seine Tochter aus der Gefahrenzone zu bringen. Wir rennen weg vom Ramses-Platz in Richtung Tahrir-Platz. Der ist hermetisch vom Militär abgeriegelt. Davor sogenannte Bürgerwehren, Unterstützer des Militärs. Sie haben Schlagstöcke, lange Messer.

Die Lage eskaliert völlig: Auf der Brücke des 15. Mai prallen die Gruppen aufeinander. Bewaffnete Mursi-Anhänger liefern sich Schießereien mit Gegnern. Wer dazwischengerät, springt in Panik von der zehn Meter hohen Brücke. Wir erreichen das Ufer. Eine sichere Pufferzone. Gerettet. Ich frage Mohamed Helmy, warum er seiner zehnjährigen Tochter das antut: „Es hätte eine friedliche Demonstration sein sollen“, sagt der dreifache Vater. Geworden ist da­raus eine Gewaltorgie.

Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe hielten die Straßenschlachten noch an. Kairo stand eine weitere blutige Nacht bevor.

Spindelegger reagiert auf Ägypten-Krise
"Habe zwei Teams nach Ägypten geschickt"

ÖSTERREICH: Was raten Sie Ägypten-Urlaubern derzeit?
Michael Spindelegger: Jene Urlauber, die sich derzeit in den Tourismusgebieten am Roten Meer befinden, können ihren Urlaub fortsetzen, vorausgesetzt, die Situation bleibt so, wie sie derzeit ist. Sie sollten sich aber umsichtig verhalten und die Sicherheitshinweise beachten.

ÖSTERREICH: Die Reisewarnung kam spät. War Ihr Ministerium zu zögerlich?
Spindelegger: Nein! Wir beobachten die Lage laufend und haben gestern eine umfassende Reisewarnung für alle neuen Reisen nach Ägypten verhängt. Aufgrund der aktuellen unsicheren Entwicklungen ist es jetzt nicht angebracht, einen Urlaub in Ägypten anzutreten.

ÖSTERREICH:
Gibt es ein Rückholprogramm?
Spindelegger: Derzeit planen wir keine Rückholung. Ich habe zwei Teams jeweils nach Sharm el-Sheikh und Hurghada geschickt, die vor Ort die Lage beobachten und österreichische Urlauber unterstützen können.

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