Russische Soldaten sollen Einhaltung der Waffenruhe beobachten - Aserbaidschan behält Kontrolle über gewonnenes Gelände
Nach sechs Wochen heftiger Gefechte haben Armenien und Aserbaidschan eine Waffenruhe für die umkämpfte Kaukasusregion Berg-Karabach vereinbart. Als Teil der am Dienstag erzielten Einigung stationiert der Vermittler Russland dort Friedenstruppen. Eine Entsendung türkischer Soldaten nach Berg-Karabach sei nicht beschlossen worden, sagte der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, in Moskau.
Er wies damit eine Erklärung des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev zurück, der von einem Einsatz türkischer Friedenssoldaten und einer gemeinsamen Mission mit Russland gesprochen hatte. Die Türkei hat sich hinter Aserbaidschan gestellt, während Russland und Armenien ein Verteidigungsbündnis unterhalten.
Lage ist ruhig
Die Lage in der Region sei seit dem frühen Morgen ruhig, sagte Schuschan Stepanjan, die Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums, in Eriwan. Kurz zuvor noch hatte Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinian gesagt, die Kämpfe seien auch nach der Vereinbarung einer Waffenruhe nicht völlig beendet.
In Berg-Karabach, einer Enklave in Aserbaidschan, leben überwiegend christliche Armenier. Völkerrechtlich gehört das Gebiet zum mehrheitlich islamischen Aserbaidschan, von dem es sich aber 1991 losgesagt hatte. In dem jahrzehntealten Konflikt haben sich seit dem 27. September armenische Kämpfer aus Berg-Karabach Gefechte mit aserbaidschanischen Soldaten geliefert. Dreimal war eine Waffenruhe vereinbart worden, dreimal war sie gescheitert, und die aserbaidschanische Armee rückte immer weiter vor.
"Dies ist kein Sieg"
Armeniens Regierungschef Paschinian sagte, er habe der Waffenruhe unter dem Druck der eigenen Armee zugestimmt. "Dies ist kein Sieg, aber es gibt auch keine Niederlage, bis man sich als besiegt betrachtet. Wir werden uns niemals als besiegt betrachten, und dies wird der Beginn einer Ära unserer nationalen Einheit und Wiedergeburt werden." Der Anführer der Armenier in Bergkarabach, Arajik Harutjunjan, nannte die Waffenruhe unvermeidlich. Die eigenen Einheiten hätten während der Kämpfe die Kontrolle über einige Gebiete verloren. Aserbaidschans Truppen seien nah an Stepanakert, das Zentrum der Region, herangerückt.
Die Geländegewinne sollen nun unter Kontrolle Aserbaidschans bleiben. Dazu gehört auch Schuschi, die zweitgrößte Stadt. Bis zum 1. Dezember sollen weitere Gebiete unter aserbaidschanische Kontrolle kommen.
Der russische Präsident Wladimir Putin sagte, die Waffenruhe ebne den Weg zu einer dauerhaften politischen Lösung im Interesse der armenischen und der aserbaidschanischen Bevölkerung. Rund 2.000 russische Soldaten werden entlang der Front in Berg-Karabach und in einem Korridor zwischen Berg-Karabach und Armenien für mindestens fünf Jahre stationiert. Außerhalb Berg-Karabachs soll ein Zentrum entstehen, von dem aus die Einhaltung der Waffenruhe beobachtet werden soll.
Jubel in Baku
Der aserbaidschanische Präsident Alijev sagte, die Vereinbarung habe historische Bedeutung und stelle die "Kapitulation Armeniens" dar. Auch die Türkei werde an dem Prozess zur Erhaltung des Friedens beteiligt und gemeinsam mit Russland das Beobachtungszentrum betreiben. Eine entsprechende gesonderte Vereinbarung sollte im Laufe des Tages zwischen Russland und der Türkei getroffen werden. Doch dass die Waffenruhe unter russischer Vermittlung zustande kam und russische Soldaten ihre Einhaltung kontrollieren, ist ein klares Zeichen dafür, dass noch immer Russland der wichtigste Akteur in der Region ist - trotz des Mitmischens der Türkei.
Wegen dieser Gemengelage sahen viele Beobachter die Gefahr einer Ausweitung des Konfliktes über den Südkaukasus hinaus - mit erheblichen Folgen auch für die Weltwirtschaft. Denn durch die Region laufen Ölpipelines. Nach Bekanntgabe der Waffenruhe brach in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, Jubel aus. Zahlreiche Menschen fuhren hupend mit Autos und Bussen durch die Straßen. Viele versammelten sich und schwenkten die Flagge Aserbaidschans. In Eriwan dagegen, der Hauptstadt Armeniens, stürmten erzürnte Mengen mehrere Regierungsgebäude und das Parlament. Viele warfen ihrer Regierung Verrat vor und verlangten den Rücktritt von Ministerpräsident Paschinian.
Die EU-Kommission begrüßte am Dienstag die Einstellung der Kämpfe in der zwischen Armenien und Aserbaidschan umkämpften Kaukasusregion Berg-Karabach. Nach der Analyse der Details der Waffenruhe werde eine genauere Stellungnahme folgen, hieß es.
Ähnlich äußerten sich die Grünen in Österreich. "Das Wichtigste ist, dass das Blutvergießen nun ein Ende findet", teilte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, in einer Aussendung mit. Dieser müsse nun in einen dauerhaften Frieden umgewandelt werden. Sie fordert die Überwachung der Übereinkunft von einer neutralen Organisation wie die in Wien ansässigen OSZE.